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Die Kinder des Ketzers

Die Kinder des Ketzers

Titel: Die Kinder des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Klink
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sie hatte, um die Tauben zu erschrecken, eine Steinschleuder, die auf ihren Kopf zielte, und Cristino fragte sich, warum er sich noch die Mühe machte, mit Steinen nach ihr zu werfen, wo ein anderer sich doch anschickte, ihr die Kehle durchzuschneiden. Und der Stein flog, sie spürte den Luftzug, als er an ihrer Schläfe vorbeistrich, und hinter ihr ein gurgelndes Geräusch, das Messer zuckte in die Luft, der Arm löste sich von ihrem Körper, und endlich kam der Aufschrei über ihre Lippen, während sie sich losriss und vorwärts stolperte, auf die rettende Tür zu, durch die sie hindurchstürzte, um sie hinter sich ins Schloss zu werfen und sich dagegen zu lehnen. «Alessia!», kreischte sie und tastete im Dunkeln nach dem Riegel. «Alessia, Hilfe!»
    Kein Riegel, diese gottverdammte Tür hatte keinen Riegel! Sie hörte Stimmen auf dem Gang, sie kamen, um sie zu holen, «Alessia!», kreischte sie. Es brannte kein Licht in dem Raum, doch das Mondlicht, das durchs Fenster fiel, erleuchtete den Diwan an der Wand gerade aus596
    reichend, dass sie Alessias weißumbauschte Gestalt dort erkennen konnte. Cristino ließ die Tür los, sie musste zu Alessia, wenn sie Alessia erreichte, war alles gut, auch wenn sie sterben musste, aber wenigstens war sie dann nicht mehr allein! Sie stürzte zum Diwan.
    «Alessia!», schrie sie.
    Alessia regte sich nicht.
    Cristino packte sie an den Schultern, schüttelte sie. «Alessia, wach auf, schnell, da sind Leute, die wollen mich umbringen!»
    Alessia regte sich nicht. Ihr Kopf pendelte haltlos an ihrem Hals. Cristino schrie. Sie schrie und kreischte und heulte und schüttelte Alessia, bis ihre Hände klebrig und nass waren von dem lauwarmen Blut, das Alessias Kleid durchtränkte, und auch dann schüttelte sie weiter, bis sie endlich begriff, Alessia war tot.
    ***
    Sie standen still vor dem Diwan wie eine Trauergemeinde, die Barette in ihren Händen, die Augen auf das dunkelhaarige Mädchen gerichtet, das da in einem blutbefleckten weißen Kleid vor ihnen lag und selbst im Tod noch so schön war, dass dem einen oder anderen die Knie zitterten, und Laballefraou fühlte sich zu seinem eigenen Entsetzten an diesen alten Kinderreim erinnert – noir de poix, rou- ge de sang, blanc de neige, Marie te protège –schwarz wie Pech, rot wie Blut, weiß wie Schnee, Maria schützt dich. Laballefraou, der in seinen jungen Jahren schon so einiges Erschreckendes, Ekliges und Grausames gesehen hatte, war nahe daran, sich zu übergeben.
    «Wie vergänglich doch alles ist.» Laballefraou sah irritiert zur Seite. Sein Amtsbruder Albin hatte den Kopf schräg gelegt. «Welch Schönheit, welch frisch erblühte Rose, welch unschuldiges, reines Geschöpf – und schon streckt der grausame Tod seine Hand nach ihm aus!» Und mit einem tiefen, schmerzlichen Seufzer deklamierte er:
    «Corps femenin, qui tant es tendre,
    poly, souef, si precieux,
    te fauldra il ces maux attendre?
    Oy, ou tout vif aller es Cieulx!
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    Frauenkörper, der so zart,
    vollkommen, süß, so kostbar ist,
    muss es sein, dass dich dieses Schlimme erwartet?
    Oh, könnte man nur lebend in den Himmel eingehen!
    – Villon», meinte er mit einem entschuldigenden Blick auf den Viguié, der ihn ziemlich verärgert ansah. Crestins Blick wanderte zurück zum Diwan. Er wünschte sich, nicht ständig an seine eigene Tochter denken zu müssen und sich vorzustellen, sie, seine Agueto sei es, die hier kalt und starr auf diesen blutüberströmten Kissen lag.
    «M…mein Gott, wer tut denn so etwas?», krächzte Soulbrac, der jüngste unter den Arquiés, der ziemlich grau im Gesicht war. «So ein armes, unschuldiges junges Geschöpf…»
    «Wer wohl!» So sehr er zitterte, Laballefraou brachte es immerhin fertig, mit dem Finger an die Wand hinter dem Diwan zu tippen, neben die blutige Schrift, die dort auf die Seidentapete geschmiert war. Santonou
    «Es gibt keinen Sinn», murmelte der Viguié. «Es gibt einfach keinen Sinn.»
    «Stimmt. Allerdings nicht», sagte eine Stimme von der Tür. Crestin drehte sich um. Im Türrahmen lehnte Fabiou Kermanach de Bèufort.
    «Verflucht, was habt Ihr hier zu suchen?», fragte der Viguié.
    «Oh… ich war eingeladen… zu der Feier…»
    «Das meine ich nicht!»
    Fabiou marschierte ungerührt in den Raum hinein. «Qui bono?», meinte er nachdenklich. «Wem nützt es? Das ist doch die Frage bei jedem Verbrechen. Warum sollten die Antonius-Jünger die Demesle de Sault umbringen? Raubmord? Ihre Kette und ihr Diadem

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