Die Kinder des Ketzers
als sei sie vom Anbeginn der Zeit so durch das Blitzen von spiegelndem Glas geschwebt, an Alexandre de Mergoults Seite, gehalten von seinem starken, warmen Arm.
Was Fabiou betraf, so war er nicht ganz so geneigt, sich im Rausch dieser Nacht zu verlieren. Um es genau zu sagen, hatte er sich in eine unbeobachtete Ecke zurückgezogen, möglichst nahe am Buffet und möglichst weit entfernt von Jean de Mergoult und seinen Kumpanen, die glücklicherweise bislang so sehr mit der holden Weiblichkeit beschäftigt gewesen waren, dass sie seine Anwesenheit glatt übersehen hatten. Dort stand er, einsam und etwas deplatziert, nachdem Sébastien sich Claudia de Buous geschnappt hatte und mit ihr nun über die Tanzfläche schwebte. Er war gelangweilt und genervt und auch ziemlich beunruhigt, sich im Haus der Familie Mergoult zu befinden, und so sehr er sich gegen dieses Gefühl zu wehren versuchte, die wirbelnden Farben an den Wänden und der Takt der Musik zogen auch ihn in den Bann, und auf einmal verspürte er Neid auf all die anderen, die teilhaben konnten, die dazugehörten, die nicht ausgeschlossen und an den Rand gedrängt waren wie er. Er versuchte sich abzulenken, indem er die Pläne zu seiner Ballade ausbaute. Er war noch nicht viel weiter, noch immer fehlte der jugendliche Held; er ließ seinen Blick durch den Raum schweifen und überlegte hin und her zwischen den Gebrüdern Buous und Sébastien de Trévigny und…
«Ja, salut , t Victor! Auch allein?»
Der Angesprochene drehte sich um, momentan in seiner Artikulationsfähigkeit eingeschränkt durch das Cremetörtchen, in das sich seine Zähne gegraben hatten. «Schalut Faiou, wasch maschu hier?»
«Mich anöden, und du?»
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Victor schluckte. «Mann, sind die gut. Ich?» Er seufzte. «Nicht mehr viel, nachdem mir Mergoult deine Schwester vor der Nase weggeschnappt hat.»
«He… du wolltest mit Cristino tanzen?»
«Hm. Ja. Du könntest wohl nicht vielleicht… ein gutes Wort für mich bei ihr einlegen?» Er betrachtete Fabiou aus treuherzigen Hundeaugen.
Fabiou lachte. «Cristino ist eine dumme Gans!», sagte er. «Die Männerwelt von ganz Ais liegt ihr zu Füßen, und sie muss sich an Mergoult, den Affen, hängen.»
«Na ja… sie sieht einfach unglaublich gut aus, deine Schwester», versuchte Victor zu erklären. «Ihre Augen… so blau wie ein Sommerhimmel. Ihre seidige weiße Haut. Und ihre Haare… wie aus gesponnenem Gold…» Sein Augenaufschlag erinnerte an Jeanne d’Arc beim Anblick des Erzengels.
«Sag mal… wird man ab einem bestimmten Alter automatisch so, oder muss man dazu ein paarmal mit dem Kopf gegen die Wand rennen?», fragte Fabiou genervt.
Victor blinzelte irritiert. «Hä, was meinst du mit so?»
«So hirnlos gestört beim Anblick eines Weibsbilds», grummelte Fabiou.
«Ach, das verstehst du noch nicht!», jammerte Victor. Dann wurde sein Gesicht plötzlich ernst, und der schafsähnliche Ausdruck verschwand aus seinen Augen. «Herr Jesus, die Sault», murmelte er. Fabious Blick folgte dem seinen. In der Tat, wenige Schritte entfernt wiegte sich Alessia im Tanz, am Arm eines Roubert de Buous, der dabei Glubschaugen machte wie ein Tintenfisch. «Sag bloß, du gehörst auch zu Alessias gehirnamputierter Anbeterschaft. Diese blöde Ziege!»
«Sie kümmert sich sehr um meine Mutter», sagte Victor nachdenklich.
«Wie?» Fabiou blickte ihn erstaunt an.
«Sie kümmert sich sehr um meine Mutter», wiederholte Victor und schüttelte den Kopf. «Seit dem Fest bei den Mancoun. Sie besucht sie fast täglich.»
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«Hm ja, das ist… nett von ihr», sagte Fabiou lahm, dem es schwerfiel, ein gutes Haar an Alessia zu lassen.
Wieder schüttelte Victor den Kopf. «Ich frage mich, was sie damit bezweckt», murmelte er.
«Bezweckt?»
«Himmel, Fabiou, so eine tut das doch nicht aus Nächstenliebe. Die will was. Geschenke vielleicht. Kann sein, dass sie denkt, meine Mutter hat keine Tochter und sehnt sich nach einem jungen weiblichen Geschöpf, das sie mit Kleidern und Schmuck überschütten kann. Aber da hat sie sich geschnitten! Meine Mutter hat gar kein Geld zur Verfügung, und Vater fällt auf so eine nicht ‘rein.»
«Meinst du im Ernst?», fragte Fabiou. «Ich meine… na, Weiber eben. Wenn sie einen leidenden Menschen sehen, weckt das eben ihre Muttergefühle.»
«Fabiou, verdammt, meine Mutter ist nicht leidend!», fiel ihm Victor ins Wort.
«Wieso, sie ist doch…»
«Fabiou, meine Mutter trinkt!», erklärte Victor.
Fabiou
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