Die Kinder des Ketzers
plötzlich der Mann mit der Maske», stieß Cristino zitternd hervor.
«Es war also der Mann mit der Maske, der Euch gepackt hatte?»
«Nein, nein… den, der mich festgehalten hat, habe ich nicht gesehen. Aber plötzlich stand da noch ein anderer vor mir auf dem Gang, und der trug so ein schwarzes, glitzerndes Gewand, und diese Maske, von der alle reden, die mit dem lachenden Mund und der blutigen Träne», sagte Cristino. Sie verschwieg, dass sie die Maske schon einmal gesehen hatte, damals bei den Ardoches am Fenster.
«Und was tat er?», fragte Vascarvié.
«Er hatte eine Steinschleuder in der Hand. Ich dachte zuerst, er würde auf mich zielen, aber der Stein traf dann den Mann, der mich festhielt, und er ließ mich los, und dann bin ich gerannt, in das Zimmer hinein. Und da fand ich Alessia.»
«Und dann?»
«Ich habe geschrien», murmelte Cristino. «Ich dachte, sie würden kommen und mich umbringen. Aber zum Glück kam stattdessen Baroun de Mergoult.»
«Ich bin natürlich sofort losgelaufen, als ich die Schreie hörte», meinte Alexandre großspurig. «Unglücklicherweise kam ich zu spät. Die Mordbuben waren bereits nicht mehr zu sehen.» Er wollte offensichtlich suggerieren, dass er dieselben anderenfalls an Ort und Stelle aufgespießt hätte.
«Das war sehr umsichtig von Euch. Ihr habt der Barouneto zweifelsohne das Leben gerettet», sülzte Vascarvié, der offensichtlich noch weiterreichende politische Ambitionen hatte und es für zuträglich hielt, sich mit dem Sohn des Parlamentspräsidenten gut zu stellen. Mit wesentlich schleimfreierer Stimme wandte er sich sodann an Crestin. «Corpus examinavisti?»
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Wenn Crestin etwas mehr hasste als studierte Aufschneider, dann waren es Lateinisch parlierende studierte Aufschneider. «Im Rahmen des Anstandes, ja», nuschelte er ärgerlich.
«Im Rahmen des Anstandes? Was wollt Ihr damit sagen?»
«Dass ich das tote junge Fräulein weder ausgezogen noch sonst etwas mit ihr angestellt habe, was ihrem Ruf abträglich sein könnte
– es handelt sich schließlich um eine sehr delikate Angelegenheit.»
Crestins Augen blitzten kampflustig.
Vascarvié überhörte geflissentlich die Provokation. «Gibt es Hinweise auf einen Raubmord?»
«Nein.» Crestins Augen wanderten für einen Sekundenbruchteil zu Fabiou. «Ihr gesamter Schmuck war noch da.»
Vascarvié warf Cristino und Catarino einen raschen Blick zu.
«Virginitas afflicta?»
«Soweit ich das beurteilen kann, nein. Sie war vollständig angezogen, das Kleid nicht beschädigt, und die einzigen sichtbaren Verletzungen sind – nun, ein blaues Auge und der Schnitt in ihrer Kehle, und das blaue Auge hatte sie sich wohl schon vorher zugezogen.»
«Ihr könntet in Euren Ausführungen etwas mehr Rücksicht auf die Gemüter der anwesenden Damen nehmen… insbesondere auf das der unschuldigen Mädchen!», zischte Vascarvié wütend.
«Indem ich Latein rede? Das würde nicht viel nutzen, die Damen sind gebildet», meinte Crestin unberührt. «Und, honorabilis doctor iuris, habt Ihr eine Theorie, wer das Mädchen ermordet hat und warum?»
«Wer? Die Antonius-Jünger, wer sonst. Und was das Warum betrifft… diese Leute sind Tiere, die aus Gier nach Blut morden. Die brauchen keinen Grund, einen Menschen zu töten.»
«Aber vielleicht einen Komplizen», meinte Crestin. Seine Augen waren wieder zu Fabiou gewandert.
«Wie bitte?», fragte Vascarvié entgeistert.
«In einem der anliegenden Räume war ein Fenster offen. Jemand muss es geöffnet haben, damit der Mörder einsteigen konnte. Und von irgendjemandem muss der Mörder schließlich auch erfahren haben, dass die Demesle sich in jenem abgelegenen Raum aufhielt.»
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«So. Ein Komplize.» Vascarviés Raubvogelaugen gingen durch den Raum und blieben an Catarino hängen. «Man sagte mir, es habe kurz vor dem Dahinscheiden des Mädchens eine… Szene gegeben.»
Catarino starrte Vascarvié mit offenem Mund an. Sébastien fühlte sich als Kavalier sofort genötigt, in die Bresche zu springen.
«Eine harmlose kleine Streiterei, nichts, was in diesem Zusammenhang von Bedeutung…»
«Ich habe Euch nicht um Eure Meinung gefragt, Monsieur!», fuhr Vascarvié ihn an. «Barouneto de Castelblanc, ist es wahr, dass Ihr es wart, die Demesle de Sault geschlagen und schwer verletzt hat?»
Catarinos Mund öffnete sich noch weiter. «Na ja, schwer…», begann Sébastien. «Sie heißt Bèufort», erklärte Fabiou.
«Ist es weiterhin wahr, dass Ihr gesagt habt,
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