Die Kinder des Ketzers
mit all den teuren Edelsteinen haben sie ihr gelassen. Und was diese Rache-Theorie betrifft – als Joan lou Pastre starb, konnte Alessia gerade mal laufen!»
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«Hatte ich Euch nicht gesagt, dass Ihr Euch gefälligst aus der Sache ‘raushalten sollt?», fuhr ihn Crestin an.
«Warum habt Ihr mir letztens nicht geantwortet, als ich Euch gefragt habe, wie Joan lou Pastres Schrift aussah?», fragte Fabiou wütend. «Ihr habt gewusst, dass sie nicht zu vergleichen war mit der Schrift, die man jetzt bei den Toten gefunden hat. Joan lou Pastre war Analphabet. Einen Schriftzug wie den da –», er wies an die Wand, «hätte er nie im Leben hingekriegt. Und genau so einen Schriftzug hat man bei Degrelhos Leiche gefunden. Kam Euch das damals schon komisch vor? Habt Ihr ein schlechtes Gewissen, weil Ihr damals schon an Joans Schuld gezweifelt habt, aber nichts unternommen habt, um seine Hinrichtung zu verhindern? Habt Ihr mir deswegen letztens nicht geantwortet? Und warum, verdammt noch mal, habt Ihr mich wegen Carfadrael angelogen? Carfadrael ist keine Legende, und jetzt behauptet nicht, Ihr hättet das nicht gewusst, das nehme ich Euch nicht ab!»
Unglaublich, wie bleich der Viguié mit einem Schlag geworden war. «Ihr werdet jetzt sofort hier verschwinden, Baroun», krächzte er, «oder ich werde ein kleines Gespräch mit Eurem Vater führen!
Hatte er Euch nicht ebenfalls befohlen, Eure Nase nicht mehr in diese Angelegenheit zu stecken? Es wird ihn sicher sehr interessieren, wie wenig Ihr ihm gehorcht!»
«Vielleicht war der Mörder ja hinter jemand ganz anderem her, und das Mädchen hat ihn überrascht», unterbrach Laballefraou den Disput.
«Nun, meine Schwester hat ihn nicht überrascht, und trotzdem wollte er sie umbringen», entgegnete Fabiou kopfschüttelnd. «Sie sagt, er hätte sie von hinten aus dem Dunkeln angegriffen. Sie hätte ihn überhaupt nicht bemerkt, wenn er sich still verhalten hätte.»
«Vielleicht befürchtete er ja, sie könnte ihn entdecken», meinte Laballefraou nachdenklich.
«Ganz schön nervöser Mörder, der jeden umbringt, der ihn theoretisch entdecken könnte. Wenn ich so nervös wäre, würde ich meine Morde nicht gerade in einem Haus begehen, wo gerade eine Festgesellschaft stattfindet», meinte Fabiou mit hochgezogenen Augenbrauen. Das hatte er Tante Beatrix abgeguckt. Es sah einfach absolut souverän aus.
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«So. Was habt Ihr also wieder für eine geniale Theorie?», fragte Crestin restlos entnervt.
«Dass der Mörder es gezielt auf Alessia abgesehen hatte. Er hat irgendwie erfahren, dass sie allein in diesem Zimmer liegt, und ist daraufhin durch das offene Fenster in einem der Vorratsräume eingestiegen und hat sie getötet.»
«Ein offenes Fenster, sagt Ihr?»
«Ja. Hinter der zweiten Tapetentür rechts.»
«Und wie hat der Mörder das Fenster geöffnet? Und woher wusste er überhaupt, dass Demesle de Sault hier war?»
«Tja, da gibt es wohl nur zwei mögliche Erklärungen – erstens, er hatte einen Komplizen unter der Festgesellschaft, der ihm Bescheid gesagt und das Fenster geöffnet hat, und zweitens, das offene Fenster war nur eine Finte, und der Mord wurde in Wirklichkeit von einem der Festgäste begangen», meinte Fabiou.
«Einem Edelmann? Das ist ja wohl lächerlich!», schnaubte Crestin. «Wieso sollte ein Edelmann so etwas tun?»
«Wieso sollte überhaupt jemand so etwas tun?», fragte Fabiou zurück. «Das ist im Moment noch ein großes Rätsel.»
«Und was ist mit Eurer Schwester? Warum hat der Mörder sie angegriffen?», fragte Laballefraou neugierig.
Fabiou hob die Schultern. «Wenn ich das wüsste, wäre ich deutlich schlauer.»
«Ihr ist hoffentlich nichts passiert», meinte Crestin griesgrämig. Der Blick, den er dabei auf Fabiou warf, zeigte, dass es ihm wesentlich lieber gewesen wäre, der Mörder hätte sich auf diesen gestürzt.
«Nein… sie ist nur ein bisschen durcheinander», sagte Fabiou beruhigend. «Und Ihr Freund bringt sie natürlich noch mehr durcheinander.»
«Mein Freund? Was für ein Freund denn?», fragte Crestin erstaunt.
«Na, der vom Parlament. Ist gerade eben aufgetaucht und stellt jetzt eine Menge Fragen.»
«Vascarvié? Vascarvié ist hier?»
«Hm. Ja. Ich glaube, so heißt er.»
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«Aus dem Weg!» Crestin schob sich an Fabiou vorbei und stürzte den Gang entlang. Von der Feststimmung war nichts übrig geblieben, als Fabiou in Crestins Gefolge wieder den Ballsaal betrat. Überall standen Menschen in Grüppchen
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