Die Kinder des Ketzers
diesen Dingen doch ein Zusammenhang bestehen!»
«Und was, wenn es keinen Zusammenhang gibt?», fragte Victor nachdenklich. «Wenn der Mörder doch nur ein Irrer ist, der wahllos tötet? Wenn Trostett auch nur ein Irrer war, der einen Brief voller Irrsinn hinterlassen hat?»
«Hinter dem Unternehmen Ohneberg stecken die Agenten des Kaisers», erinnerte Fabiou. «Trostett war kein Irrer, er war ein Spion!»
«Was, wenn er ein irrer Spion war?», fuhr Victor unbeirrt fort.
«Der einen Brief voller zusammenhangloser Erinnerungen an seine Spionagetätigkeit hinterlassen hat?»
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«Das glaube ich nicht!», rief Fabiou.
«Fabiou, ob du es glaubst oder nicht, es kann trotzdem sein, dass Senher Degrelho recht hat», meinte Bruder Antonius. «Diese ganzen Spuren, die du da verfolgst – sie erscheinen ungefähr so eng zusammenzuhängen wie Madagaskar und Hinterindien!»
«Geometrie, Antonius», sagte Fabiou provokativ. «Hast du mir schließlich beigebracht. Nimm ein Strahlenbündel – bei genügendem Abstand von seinem Zentrum können die einzelnen Strahlen Welten voneinander entfernt sein. Aber es gibt einen endlichen Punkt, an dem sie sich kreuzen werden. Und wir werden ihn finden!»
«Und wie?», fragte Bruder Antonius.
«Wie wohl – indem wir jeden einzelnen Strahl verfolgen, so lange, bis wir zum Zentrum gelangen. Wir werden weitere Informationen einholen – über die Antonius-Jünger, über die Ohnebergs, über die Bruderschaft, über die Degrelhos. Irgendetwas ist da, was wir bisher übersehen haben, irgendein Bindeglied zwischen diesen Gruppen.» Fabiou runzelte die Stirn. «Vielleicht sind sie unsere Antwort», murmelte er.
«Wer?», fragte Sébastien.
«Die Bruderschaft. Wer waren sie? Und warum sind sie 1545 verschwunden?», überlegte Fabiou kopfschüttelnd. Sébastien zuckte mit den Achseln. «Ich werde versuchen, es herauszufinden», meinte er.
«Einer sollte sich um die Protestanten kümmern», sagte Victor nachdenklich.
«Das mache ich», meinte Fabiou langsam. «Das ist sowieso etwas, was ich längst hätte tun sollen.»
***
Cristino hatte sich in ihrem Zimmer vergraben. In ihrem weißen Nachthemd, in dem sie aussah wie die heilige Elisabeth auf dem Totenbett, lag sie in den Kissen, die Augen geschlossen, das Gesicht weiß wie die Laken, die ihren Körper umhüllten.
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«Ach, das arme Geschöpf», seufzte Tante Eusebia. «Der Tod hat seine Hand nach ihr ausgestreckt. Manch eine, der dies geschah, siechte dahin und stand nicht mehr auf.»
«Das kommt davon, wenn man die jungen Dinger alleine auf eine Gesellschaft lässt», sagte Onkel Philomenus, «so etwas ist unschicklich, zu unserer Zeit hätte es das nicht gegeben.»
«Stell dich nicht so an», sagte die Dame Castelblanc, nachdem sie ihren ersten Schrecken über die Geschehnisse jenes Abends überwunden hatte, «was sollen die Leute denken, und die jungen Kavaliere, willst du dir die besten Partien mit einer Melancholie verderben?»
«Alles wird gut», sagte der Cavalié, «ich verspreche es dir, Cristino, alles wird gut.» Aber er hatte dabei Tränen in den Augen. Sie wollte niemanden sehen. Sogar Catarino schickte sie weg, wollte sie nicht mehr in das Schlafgemach lassen. «Kein Problem», sagte Oma Felicitas, «wir haben doch noch den Raum im Obergeschoss, Maria macht etwas sauber, dann ist das der reinste Salon.»
Catarino meckerte natürlich, dass sie das gemeinsame Zimmer räumen musste, bloß weil ihre Schwester sich mal wieder in Spinnereien verstieg, doch der Cavalié sprach ein Machtwort, und schäumend vor Wut zog Catarino ein Stockwerk höher. «Vielleicht nutzt du die Zeit in einem abgeschiedenen Zimmer, um darüber nachzudenken, wie sehr du die Familie heute blamiert hast», sagte der Cavalié zu Catarino, und die Dame Castelblanc jammerte verzweifelt, dass man wohl froh sein musste, wenn man das Mädchen nach der Szene heute an einen dieser frisch geadelten Emporkömmlinge verheiraten könne. «Wird ernsthaft Zeit, dass das Luder unter die Haube kommt», sagte Onkel Philomenus verächtlich, «die braucht eine harte Hand, das Mädchen, einen, der ihr ihre Frechheiten austreibt, bevor sie vollends zum Schandfleck unseres Hauses wird.»
Cristino blieb allein im Zimmer zurück, vergraben in ihre Kissen, weigerte sich zu essen oder zur Messe zu gehen – es waren die Tage des Pfingstfestes – oder mit irgendeinem Menschen zu sprechen, und sogar die medizinischen Bücher, die sich auf dem Tisch stapelten, würdigte
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