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Die Kinder des Ketzers

Die Kinder des Ketzers

Titel: Die Kinder des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Klink
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Fall, dass irgendwer über den Schreck das Alphabet vergessen hatte. «Wem zum Nutzen? Das ist die Frage. Wem in aller Welt könnte es nützen, ein siebzehnjähriges Mädchen wie Alessia de Sault umzubringen? Wem könnte es nützen, Cristino umzubringen?» Er warf einen auffordernden Blick in die Runde. Ratlose Gesichter.
    «Es passt nicht», murmelte Bruder Antonius kopfschüttelnd, ebenso wie Crestin am Vorabend. «Alessia passt überhaupt nicht in die Reihe der bisherigen Mordopfer. Bisher waren alle Toten Männer mittleren bis höheren Alters. Und alle bisherigen Theorien zu den Morden – bis auf die Raubmordtheorie – stützten sich auf die These, dass diese Männer in der Vergangenheit irgendetwas getan haben, das sie erstens verbindet und zweitens dem Mörder Anlass gibt, sie aus dem Weg zu räumen. Aber Alessia?»
    «Gibt es eigentlich überhaupt noch irgendetwas, das die sechs Mordopfer verbindet?», fragte Sébastien kopfschüttelnd. «Fünf von 607
    ihnen sind Männer, eines ist eine Frau. Fünf von ihnen sind Provenzalen, eines ist Deutscher. Zwei sind Adlige, drei Bürgerliche. Fünf sind über vierzig, eines ist siebzehn. Bei vieren wurde die Schrift Santonou gefunden, bei zweien nicht. Vier von ihnen wurde die Kehle durchgeschnitten, zwei wurden erstochen. Das gibt doch alles überhaupt keinen Sinn.»
    «Das finde ich noch nicht mal das Verwirrendste», meinte Victor.
    «Es wäre ja denkbar, dass der Mord an Alessia mit den übrigen gar nichts zu tun hat. Jemand benutzt die Mordserie als Tarnung, um Alessia loszuwerden. Feinde hatte sie sicher genug, man denke nur an all die Weiber, denen sie die Männer ausgespannt hat. Aber wer um Himmels willen sollte ein Interesse daran haben, Cristino zu töten?»
    Fabiou drehte sich zur Tafel und unterstrich die Worte «Qui bono?». «Was für Gründe gibt es überhaupt, einen Menschen zu töten?», fragte er.
    Einen Moment lang herrschte Schweigen. Dann meldete sich Sébastien zu Wort. «Gier», sagte er. Fabiou hob die Schultern. «Also, einen Raubmord an Cristino können wir wohl ausschließen», meinte er. «Cristino besitzt schließlich keinen müden Ecu.»
    «Rache», meinte Bruder Antonius leise.
    «An Cristino? Was könnte Cristino denn Schlimmes getan haben, dass jemand sie dafür umbringen wollte? Das ist doch Unsinn!» Victor schüttelte heftig den Kopf.
    «Machtstreben», schlug Trévigny vor.
    «Machtstreben?» Fabiou runzelte die Stirn. «Cristino hat nichts und ist nichts. Erbberechtigt wäre sie nur, wenn sowohl ich als auch Catarino kinderlos sterben, und dann auch nur, wenn ich ihr die Barounie testamentarisch vermache, sonst fiele alles an, ja, an wen eigentlich? Vater hat ja keine lebenden Verwandten mehr.»
    «An den Cavalié, vermute ich», sagte Bruder Antonius. «Aber ihn wirst du doch nicht ernsthaft verdächtigen wollen!»
    Fabiou seufzte. «Das hat mit wollen nichts zu tun. Aber wenn mein Stiefvater es auf mein Erbe abgesehen hätte, würde er ja wohl mich umbringen und nicht Cristino!»
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    «Also, ich glaube immer noch, der Mörder wollte Cristino töten, weil er dachte, sie habe ihn gesehen», meinte Victor
    «Möglich», murmelte Fabiou. «Was gäbe es noch für Motive?»
    «Mordlust», sagte Bruder Antonius.
    Alle sahen sich unbehaglich an. Unheimliche Vorstellung, dass in Ais jemand aus reinem Vergnügen seinen Mitmenschen die Kehle durchschnitt.
    Dann, unvermittelt, keuchte Sébastien auf. «Der Glaube», sagte er.«Was?»,fragteFabiouerstaunt.
    «Kinder, das ist es!» Trévigny war richtig aufgeregt. «Alle Opfer waren katholisch. Bossard sogar ein Carcist, Servius ein Mönch. Was, wenn der Mörder ein fanatischer Protestant ist?»
    «Der wahllos Katholiken umbringt?» Bruder Antonius blickte skeptisch drein. «Da gäbe es aber weniger aufwändige Alternativen, als nachts durch Fenster in fremde Häuser einzusteigen.»
    «Mein Gott, Bruder Antonius, wir reden hier über einen Fanatiker, einen Irren! So einer handelt nicht nach den Gesetzen der Logik!», rief Sébastien.
    Fabiou schüttelte langsam den Kopf. «Herr Gott im Himmel, warum gibt das alles keinen Sinn?», fragte er verzweifelt. «Sechs Morde an sechs Leuten, die bis auf die Tatsache, dass sie katholisch waren, nicht die geringste Gemeinsamkeit haben. Die AntoniusJünger. Die Bruderschaft. Trostetts Brief. Eine Bande Spione. Die Ermordung der Familie Degrelho. Die magische Zahl 1545. Und jetzt auch noch ein Mordanschlag auf Cristino. Irgendwo muss zwischen all

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