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Die Kinder des Ketzers

Die Kinder des Ketzers

Titel: Die Kinder des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Klink
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der seine gesamte rechte Gesichtshälfte einnahm und sein rechtes Auge völlig zudrückte. Fabiou wurde schlecht vor Wut. Der Bluterguss war definitiv gestern noch nicht dagewesen. «Mergoult!», schrie er und begann zu rennen. Alexandre drehte sich um. «Na, so etwas, der kleine Castelblanc. Auch noch da? Wolltest dir das Schauspiel nicht entgehen lassen, was?» Er lachte. Seine Getreuen und die Bande um Jean fielen begeistert mit ein.
    «Mergoult, ich warne dich. Ich finde ein Gericht, das dich zur Verantwortung zieht, und wenn ich bis zum König muss!»
    «Zum König willst du!» Mergoult prustete los. «Habt Ihr das gehört, Vater? Er will zum König!»
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    Maynier lächelte verächtlich als Antwort. Fabiou fiel ein, dass man auch Maynier für seine Verbrechen vor ein königliches Gericht gestellt hatte. Der Erfolg war gleich null gewesen. «Ihr könnt mich nicht einschüchtern, Baroun!», sagte er wütend. «Man wird in Ais erfahren, was Ihr ‘45 so ganz nebenbei erledigt habt! Da könnt Ihr sicher sein!»
    Maynier betrachtete Fabiou mit dem Interesse, mit dem man eine lästige Fliege betrachtet, bevor man sie in der Hand zerquetscht.
    «Mein Junge, ich fürchte, du wirst nicht lange genug leben, um irgendjemandem in Aix etwas mitzuteilen», sagte er und ritt weiter.
    «Baroun…»
    Fabiou fuhr herum. Seine Zunge war ein träger, störender Fremdkörper in seinem Mund. «Loís», brachte er mühsam hervor.
    «Baroun, lasst es… Ihr macht alles nur noch schlimmer…» Loís starrte ihn an aus entzündeten Augen. «Bitte…»
    «Halt den Rand, du Hund!», brüllte einer der Waffenknechte und versetzte Loís einen Stoß, der ihn schier vom Pferd warf. «Lasst ihn zufrieden!», kreischte Fabiou. «Ihr sollt ihn zufrieden lassen.»
    Er wollte auf Loís zurennen, doch einer der Knechte schleuderte ihn mit einem gut gezielten Tritt gegen die Schulter aus der Bahn.
    «Mach die Fliege, Kleiner!», rief er. «Sonst setzt’s was!» Alles lachte.
    Stöhnend rappelte Fabiou sich auf. Er fluchte. In der Hölle schmoren sollte dieser verdammte Mergoult. Er betete. Gott, bring Frederi hierher, bitteee. Er rannte, schlitterte den steilen Hang hinunter, den Reitern hinterher.
    Die Bauern liefen zusammen, als sie sich dem Dorf näherten. Kamen von den Feldern, die Hände staubig und rissig vom Ausbuddeln der Rüben. Kamen aus den Häusern, zahnlose alte Weiber, auf knorrige Stöcke gestützt, die Rücken so gebeugt, dass sie den Kopf in den Nacken legen mussten, um einem anderen ins Gesicht zu sehen, gefolgt von kleinen schmutzigen Kindern mit nackten Füßen und schmalen Gesichtern. Kamen vom Bach, Frauen mit schwangeren Bäuchen, die riesige Wasserkübel mit sich schleppten. Sie alle strömten, liefen, humpelten zum Rand des Dorfes, dorthin, wo der Galgen stand. In ihren Gesichtern lag nichts von der Sensationslust, die Fabiou bei den Menschen auf der Plaço dis Jacobin 804
    gesehen hatte. Eher so eine Art gleichgültige Kenntnisnahme. Die Herren feiern, die Herren jagen, die Herren hängen auf, ein weiterer Zeitvertreib in einer Welt, die sich ihrem Begreifen entzog. Es war keiner von ihnen, das war das Einzige, was zählte. Man saß ab und band die Pferde an den umstehenden Bäumen an. Die Waffenknechte nahmen Aufstellung rund um den Galgen. Bertran de St. Roque wollte aus irgendeinem Grund unbedingt selber das Seil am Galgen befestigen, so dass Alexandre de Mergoult ihm erst mal lang und breit erklären musste, wie man die Schlinge knüpft. Maynier hatte einen Stuhl mitbringen lassen, auf dem er Platz nahm und ab und zu ungnädige Blicke in Richtung von St. Roque und seinem Sohn schickte; er fand die ganze Angelegenheit offensichtlich ziemlich unprofessionell.
    Fabiou hatte das Gefühl, in einem Traum gefangen zu sein. Benommen tappte er über den Platz vor dem Galgen, in seinem Rücken die stumm schauenden Bauern, vor ihm die Mergoults mit ihren Freunden und ihrer Privatarmee und der Galgen, den die Morgensonne einen langen Schatten über den Hügel werfen ließ. Loís hatten sie neben den Galgen gestellt, flankiert von zwei Waffenknechten.
    Die Schlinge war geknüpft, St. Roque reckte begeistert eine Faust in die Höhe, als habe er den Stein der Weisen entdeckt. Na, endlich, kommentierte Maynier von seinem Sitzplatz aus und setzte sich seufzend zurecht. Loís schwankte in der Sonne.
    Lieber Herr Jesus gütige Jungfrau Maria Mutter Gottes, steht uns bei, tut etwas, irgendetwas, bloß rettet Loís, rettet Loís!
    Die

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