Die Kinder des Ketzers
ich nicht. Ich bin nur der kleine Bruder.» Er klammerte sich erneut am Bett fest, und diesmal gelang es ihm, sich weit genug hochzuziehen, dass er sich auf die Matratze fallen lassen konnte. «Ich bin der jüngste von fünf Brüdern, Arnac. Weit von jedem Anspruch auf Titel und Land entfernt. Und mein großer Bruder, der Baron, steht auf dem Standpunkt, dass er sein Geld besser verwenden kann, als vier klei796
ne Brüder mit durchzufüttern. Also blieben uns anderen nur drei Möglichkeiten: Die Kirche, die Armee und der Hof.» Er seufzte.
«Kirche liegt mir nicht. Ich bin kein Mensch fürs Beten und fürs Zölibat. Die Armee – Arnac, ich tauge nicht zum Offizier. Ich habe noch diese alten Vorstellungen vom Kampf Mann gegen Mann, ich kann nicht ein paar hundert Fußsoldaten in den Tod schicken oder ein Dorf mit Kanonen zusammenschießen lassen. Also versuchte ich den Hof. Aber nach einem Jahr waren mir dieses ganze Getue und diese ewigen Intrigen so leid, dass ich ging. – Verstehst du, Arnac, ich möchte etwas erleben! Ich möchte die Welt sehen, Abenteuer erleben, und nicht als Höfling in steifen Klamotten höfliche Konversation treiben bis zum Verrotten! Also gab ich mich als Comte de Trévigny aus. Der Erfolg war umwerfend – überall wurde ich eingeladen, umsonst verköstigt, ich bekam Geschenke, die ich zu Geld machen konnte, und mein Unterhalt war gesichert. Bis heute.» Er lachte bitter. «Die meinen das ernst, Arnac, die kommen wieder. Entweder ich gehe außer Landes, oder ich kehre reumütig zu meinem Bruder zurück.»
«Einen komischen Bruder hast du, der dir zwei Schläger auf den Hals schickt», sagte Arnac kopfschüttelnd.
«Ja, wir sind nicht gerade ein Herz und eine Seele.» Sébastien lachte wieder und verzog schmerzlich das Gesicht. «Himmel, das gibt ‘nen schönen Bluterguss», jammerte er. Dann blickte er plötzlich wieder sehr betreten drein. «Bist du mir böse?»
«Weil du mich angelogen hast?» Arnac zuckte mit den Achseln.
«Wir haben alle unsere Geheimnisse.»
«Was machst du eigentlich hier – um diese Zeit? Und überhaupt – du sollst doch nicht in die Stadt kommen! Du wirst doch gesucht!»
«Ich bin eigentlich gekommen, um dich um Hilfe zu bitten», sagte Arnac.
«Hilfe? Wieso?»
«Die Mergoults haben Fabiou und Loís geschnappt. Und da Alexandre ein wahrer Sohn seines Vaters ist, hat er Loís gleich an Ort und Stelle am heiligen Sonntag zum Tode verurteilt, wegen Räuberei angeblich. Das Urteil soll morgen früh vollstreckt werden. Maynier hat das Ganze abgesegnet. Und es würde mich nicht 797
wundern, wenn sie für Fabiou eine ähnlich endgültige Lösung vorgesehen hätten.»
Sébastien starrte ihn an mit offenem Mund. «Aber… aber das geht doch nicht. Wozu gibt es schließlich Gesetze?»
«Maynier ist das Gesetz», sagte Arnac trocken.
«Ja, und? Was willst du tun?»
«Ihnen helfen, was denn sonst.»
«Wie bitte? Ja, und wie?»
«Ich habe gehofft, bei ihrer Familie Verstärkung zu finden», sagte Arnac. «Aber sie kommen nicht. Und sonst wüsste ich niemanden außer dir, der mit mir kommen würde.»
«Oh, heilige Maria Mutter Gottes – wir zwei gegen Familie Mergoult? Die haben einen ordentlichen Trupp Waffenknechte, Arnac. Auch wenn die ganze Bande kampftechnisch nicht allzu viel taugt, im Ernstfall haben wir wahrscheinlich keine Chance.»
«Dann müssen wir sie eben irgendwie überlisten», meinte Arnac ungeduldig. «Ich muss Loís da ‘raus holen. Ich habe es Cristino versprochen.»
«Cristino?»
«Ja. Also, was ist?»
«Cristino und Loís?»
«Bist du dabei?»
«Arnac, es ist Wahnsinn. Du weißt, dass es Wahnsinn ist.»
«Das heißt, du kommst nicht mit.»
«Natürlich komme ich mit. Erinnerst du dich, was wir uns versprochen haben? Freunde, jetzt und für alle Zeit, in guten und in schlechten Tagen, bis in den Himmel und wenn es sein muss, quer durch die Hölle!»
«Beschrei’s nicht auch noch», sagte Arnac trocken. «Also los. Jesus, hoffentlich ist dieser Spion bei dem ganzen Lärm nicht wach geworden. Ich habe mit den Kerlen schlechte Erfahrungen gemacht.»
«Sag mal, woher weißt du, dass Grandjean…»
«Scht. Komm endlich.»
Stöhnend rappelte sich Sébastien auf, tastete seine Rippen ab, und als er halbwegs sicher sein konnte, dass alles noch ganz war, schnallte er seinen Degen um und folgte Arnac. Sie schlichen die 798
Stiegen hinunter, durchquerten den Schankraum und verschwanden in der Nacht. 799
Kapitel 17
in dem
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