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Die Kinder des Ketzers

Die Kinder des Ketzers

Titel: Die Kinder des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Klink
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belogen, dass selbst die wahrhaftigste Aussage aus ihrem Mund in seinen Ohren wie eine Lüge klingen musste. Tante Beatrix würde vielleicht sprudeln wie eine Fontäne, wenn er sie fragte, denn im Grunde hatte ihr die Wahrheit in all ihren Gesprächen auf der Zunge gebrannt. Vielleicht würde auch Rouland de Couvencour sprudeln. Vielleicht auch nicht. Vielleicht würde er nur wieder das stereotype wir-wollen-dich-nicht-in-Gefahr-bringen hören. Nein. Er brauchte eine unabhängige Quelle. Jemanden, der überhaupt keinen Grund haben konnte, ihm irgendetwas zu verheimlichen.
    Der Bibliothekar betrachtete ihn aus seinen mürrischen grauen Augen über das Registraturbuch hinweg und reichte ihm die 864
    Schreibfeder. «Nein», sagte Fabiou. «Nein, ich will nicht in die Bibliothek. Ich will zu Euch.»
    Er sah auf, erstaunt. Ich bin nur der Bibliothekar, sagte sein Blick, zu mir will man nicht. Ich sorge dafür, dass jedes Buch zu jeder Zeit jedem Wissensdurstigen zur Verfügung steht, aber sonst bin ich nur eine Dekoration am Eingang dieser Hallen, wie ein Wasserspeier über einem Kirchenportal.
    «Was wollt Ihr denn?», knurrte er unwillig.
    «Ihr habt Docteur Avingou gekannt, nicht wahr?»
    Das Gesicht des Bibliothekars zuckte. Er tauchte die Feder in die Tinte, kritzelte eine Registriernummer in das Buch. «Jeder kannte ihn hier», murmelte er. «Auch die, die so tun, als hätten sie ihn nie gekannt.»
    «Ich bin sein Neffe», sagte Fabiou. Der Bibliothekar sah auf. «So.»
    Er zwirbelte die Feder zwischen seinen tintenschwarzen Fingern.
    «Ich bin hier, um die Wahrheit herauszufinden», sagte Fabiou.
    «Ich muss wissen, wie er gestorben ist.»
    Der Bibliothekar sah ihn aus starren Augen an. «Er war…», begann er dann. Er hielt inne und warf einen raschen Blick in Richtung der Tür und einen zweiten in die Bibliothek. Still büffelten die Studenten, die Nasen in große Folianten versenkt. «Er war…
    ein großer Mann. Ein genialer Wissenschaftler. Und ein aufrechter Humanist. Keiner von diesen geltungssüchtigen Idioten, deren Forschen und Tun kein Gesetz und keine Moral mehr kennt, die in ihrer Verachtung gegenüber der Schöpfung vor nichts zurückschrecken, nicht mal vor der Vivisektion… Docteur Avingou war anders. Er war ein wahrhaft großer Mann.» Wieder ein hastiger Blick, diesmal über seine Schulter. Als ob die Wand hinter ihm Augen hätte. Die Augen der Wächter, die niemals schliefen. «Das ist meine Meinung. Egal, was sie sagen.»
    «Sie?», fragte Fabiou.
    Der Bibliothekar antwortete nicht. Sein Kinn machte eine Bewegung, zeigte in eine unbestimmte Richtung.
    «Ihr meint die Inquisition», sagte Fabiou. Seine eigene Stimme schien von einem fremden Planeten zu kommen.
    «Keiner hier hat für ihn gekämpft, damals, als sie ihn verhaftet haben», sagte der Bibliothekar. «Ich konnte es nicht fassen, aber 865
    es war so. Alles ging weiter, als sei nichts geschehen. Als habe er nie existiert. Dennoch…», etwas Tinte tropfte von der Feder, ein schwarzer Fleck, der sich auf dem ordentlichen Gitternetz des Registrierbuchs breitmachte, ein störender Klecks in der Geometrie der Rationalität, «dennoch, er hatte eine Chance! Ein paar einflussreiche Freunde waren ihm geblieben. Wenn er widerrufen hätte, hätte er überleben können. Aber – so war er nicht, versteht Ihr? Die Wahrheit war ihm… heilig.» Er seufzte.
    «Haben sie ihn hingerichtet?», fragte Fabiou.
    «Es kam nicht mehr dazu», murmelte der Bibliothekar. Er stopfte die Feder ins Tintenfass zurück. «Ihr müsst gehen, Senher. Es ist nicht gut, solche Gespräche zu führen.»
    Fabiou fühlte sich müde, als er wenig später durch die Carriero d’Esquicho-Mousco zur Cacalauso d’Oro lief. Die Wahrheit ist eine vielköpfige Medusa, hatte Ingelfinger gesagt, und wehe Euch, wenn Ihr sie jemals herausfindet. Sie war Pierre heilig gewesen, diese Wahrheit.
    In der Schankstube war nicht viel los; die Pantschers-Tereso schrubbte Teller, das Mädchen wischte die Tische ab. «Der Grandjean?» Die Tereso rümpfte die Nase. «Ist abgereist. Heute früh. Na, wenigstens bezahlt hat er. Im Gegensatz zu dem anderen. Schimpft sich Graf, aber dann verschwinden, ohne die Zeche zu bezahlen, das hat man gern!»
    «Trévigny?», fragte Fabiou.
    «Hm ja, der. Ist gestern verschwunden, mitten in der Nacht, mit Pferd und allem. Das Gepäck ist zwar noch da, aber, hm, da waren vorher zwei so Kerle da, und… also, ich denke, der kommt nicht wieder.»
    Trévigny. Die

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