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Die Kinder des Ketzers

Die Kinder des Ketzers

Titel: Die Kinder des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Klink
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unserer Mitte leben und sich feiern lassen für ihre Untaten. Wir wollten sie zur Verantwortung ziehen, doch es wird uns nicht mehr möglich sein. Alles, was noch in meiner Macht steht, ist, gegenüber den Menschen guten Willens Zeugnis abzulegen über das schreckliche Unrecht, das Menschen angetan wurde, die unsere Nachbarn, unsere Brüder waren, deren Familien jahrhundertelang in unserer Mitte gelebt hatten. Mag sein, dass Maynier und seine Getreuen die Wahrheit sagen, wenn sie behaupten, dass ein Großteil von ihnen wirklich der waldensischen Lehre anhing, dass es nur eine Minderheit gutgläubiger Katholiken war, die dem Arrêt de Mérindol unberechtigterweise zum Opfer fiel. Doch selbst wenn es so war, selbst wenn die Mehrzahl dieser Menschen Gedanken hegten, die nach den Lehren der Kirche Roms als ketzerisch 862
    zu bezeichnen sind; ja, selbst wenn kein einziges der Opfer ungerechtfertigt der Ketzerei verdächtigt worden wäre, so ist es doch mein Glaube und meine erklärte Überzeugung, dass kein Mensch auf dieser Welt das Recht hat, Menschen so grausam zu verfolgen und zu ermorden, wie es in diesen Tagen im Lubéron geschehen ist, ungeachtet ihrer Sitten, ihrer Lebenshaltung, ihrer Religion. Und diesen Glauben wird mir keine Gewalt dieser Welt nehmen können.»
    Und Fabiou begriff.
    Du bist ihm ähnlich, hatte Tante Beatrix gesagt. So ähnlich, ja. So ähnlich, dass du begreifst, was zwischen diesen Zeilen steht, dass du in seinen Gedanken lesen kannst. Dieses Büchlein ist nicht nur ein Bericht, eine Zeugenaussage über ein schreckliches Kapitel unserer Geschichte. Es ist Onkel Pierres Testament.
    «Ich beschwöre alle, die in dieser Stadt leben, dieses Unrecht nicht ungestraft zu lassen. Zeigt denen, die meinen, für ihre persönliche Macht jedes Recht und jede Menschlichkeit mit Füßen treten zu können, dass die wahren Christen in diesem Land dies nicht zulassen. Sorgt dafür, dass sie ihre gerechte Strafe erhalten, in unser aller Namen, auf dass nie wieder ein Morden wie das an den Waldensern und ihren Mitbürgern geschehen wird. Im Namen unseres Herrn Jesu Christi und der Jungfrau Maria, Amen. Dies schrieb Pierre Martin Avingou, Docteur der Université d’Aix, in seinem neunundzwanzigsten Lebensjahr, am 4. Mai 1545.»
    ***
    Er ging zunächst zum Stadthaus der Degrelhos in der Carriero dei Salin, um nach Victor zu fragen. Der Diener, der ihm öffnete, erteilte ihm allerdings nur die abschlägige Antwort, der junge Barounet habe das Haus bereits am Vortag verlassen und sei bislang nicht zurückgekehrt. Der Baroun sei in der Tat etwas besorgt um ihn, fügte er hinzu, denn alle seien davon ausgegangen, dass er auf das Anwesen bei den Keyrié geritten sei, und jetzt gerade sei der Verwalter von dort eingetroffen und habe ihm mitgeteilt, dass er Victor dort nirgends gesehen habe. Fabiou bedankte sich 863
    für die Auskunft und verabschiedete sich. Er war ausgesprochen beunruhigt, als er wenig später die Carriero drecho zur Universität hinauflief. Wo war Victor? War auch ihm am Ende etwas zugestoßen? Er dachte an die rätselhafte Bemerkung, mit der sich Victor bei ihrem letzten Zusammentreffen von ihm verabschiedet hatte. Wusstest du, dass Tante Justine schwanger war, als sie starb?
    Er betrat die Universität und schlug den mittlerweile bekannten Weg zur Bibliothek ein, vorbei an Batallionen verblichener Doctores, die ihn von den Wänden herab mit gestrengen Blicken musterten. Einer fehlte in ihrem Heer, ein Name, aus dem Buch des Wissens ausradiert, als ob er niemals dagewesen wäre. Er dachte an die medizinischen Bücher, die Cristino aus dem Studierzimmer der Aubans entfernt hatte und von denen er bis zu diesem Morgen nicht eines je in die Hand genommen hatte. Er hätte sich so viel ersparen können, wenn er nur eines dieser Bücher geöffnet hätte, nur die erste Seite mit dem Exlibris von Pierre Martin Avingou, wo eine Flamme aus einem Kelch schlug, die Flamme des Wissens und der Kelch der Bruderschaft. Dasselbe Exlibris, das ein Buch zierte, in das in roten Lettern eine Widmung geschrieben war an Magister Morus, den großen Wissenschaftler, unterzeichnet von zwölf Namen. Maynier d’Oppède hatte die Idee zu diesem Geschenk gehabt, wohlwissend, dass er nie einen treueren Freund finden würde als Docteur Pierre Avingou, der ihn nie im Stich lassen würde, und sollte es sein Leben kosten. Philippe Maynier d’Oppède. Er hätte Frederi fragen können. Oder Oma Felicitas. Aber sie hatten ihn so oft

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