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Die Kinder des Ketzers

Die Kinder des Ketzers

Titel: Die Kinder des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Klink
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Jaume zur Tür gehinkt käme. Der junge Herr Baroun, hätte er gerufen und wäre sofort losgeeilt, Wein zu holen und ihm ein Mahl zu bereiten. Alle wären sie gekommen, der Hausverwalter, die Köchin, die Kammerfrau, all diese guten alten Menschen, die er aus seiner Kindheit kannte und die für ihn für alle Zeit Vertrautheit und Geborgenheit verkörpern würden.
    Als ob es so etwas gäbe auf dieser Welt.
    Das Pferd schnaubte. Die Zügel locker in der linken Hand gefasst, ließ Victor sich auf der zweituntersten der Treppenstufen nieder, die zum Haupteingang hinaufführten. Die Spitzen der Zedern glühten im Schein der sinkenden Sonne, und von den Steinen strahlte die Hitze eines langen Julitages wider.
    Victor zitterte mit den fernen Pappeln um die Wette.
    ***
    Das Licht war so weiß und hell wie die Sonne am ersten Morgen, und er schwebte durch ihren Schein wie der Verkündigungsengel auf den Feldern von Bethlehem, sein graues Haar pures, fließendes Licht. Das ist es, dachte Sébastien, ich bin tot. Gott schickt seinen Boten, mich zu holen. Glück gehabt. Es hätte schließlich genauso gut der Teufel sein können, man weiß ja nie.
    Die Gestalt blieb stehen. Zwischen ihren Händen zuckte und flackerte das Licht und warf einen unsteten Schein auf Arnac, der an der Wand lehnte, den Kopf zurückgelegt, die Augen glühend in dem unirdischen Glanz. Er sprach. Sébastien versuchte, die Worte zu verstehen, doch sein übermüdeter Geist nahm nicht viel mehr als den Klang seiner Stimme wahr. Wer seid Ihr. Ja, das hatte er gefragt. Wer seid Ihr.
    Das Licht war jetzt auf dem Boden, während die Gestalt etwas tat, irgendetwas, was mit Arnac zu tun hatte, Sébastien war unfähig zu begreifen, was. Er kniff die Augen zusammen. Er konnte das Licht nicht ertragen.
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    Arnac lag auf den Knien vor der Wand, den Oberkörper zusammengekrümmt. «Wer seid Ihr?», fragte er noch einmal. Es klang, als wären seine Stimmbänder aus Schmirgelpapier.
    «Es tut mir leid, dass ich nicht früher gekommen bin», sagte die Gestalt.
    «Ach.»
    «Mergoult ist mein Name. Estève de Mergoult.»
    «Ihr seid… Alexandres Onkel, nicht wahr?», fragte Arnac mühsam.
    Er nickte. Ein Gesicht, nicht mehr jung, umrahmt von dichten grauen Haaren. Seine Augen waren ernst und traurig. «Alexandre!», sagte er verächtlich. «Ich werde nie verstehen, wie mein Bruder diesen Bastard legitimieren konnte, wo es die Spatzen von den Dächern pfeifen, aus welcher Küche er stammt. Aber so war er nun mal. Ehrenkäsig. Ehe bekannt wird, dass man ihm Hörner aufgesetzt hat, nimmt er das Kuckucksei an, das Maynier ihm ins Nest gelegt hat.»
    «Wenn er es nicht getan hätte, wäre Jean jetzt Baroun. Denkt Ihr, das wäre eine Verbesserung?», fragte Arnac. Sie sprachen provenzalisch. Sébastien fiel auf, wie mühelos er diese Sprache inzwischen verstand, obwohl der einzige provenzalische Satz, den er artikulieren konnte, weiterhin «Te ame ma migo»* war.
    «Nein», sagte Estève de Mergoult. «Nein, wahrscheinlich nicht.»
    «Und? Was verschafft uns nun die Ehre Eures Besuches? Ich hatte eher mit Alest gerechnet. Bin ich so wichtig, dass man mir ein derart hohes Tier der Carcisten als Empfangskomitee schickt?»
    Arnacs Stimme knirschte vor Ironie und Erschöpfung. Der andere schüttelte den Kopf «Wieso seid ihr Protestanten immer so verdammt misstrauisch?», fragte er verärgert. Arnac lachte auf, ein Lachen, das in ein heiseres Keuchen überging. «Erstens: Ich bin kein Protestant, auch wenn mir das immer kein Mensch glaubt. Und zweitens werdet Ihr wohl verzeihen, dass ich dieser Situation hier nicht allzu viel Vertrauenerweckendes abgewinnen kann.»
    *
    Ich liebe dich, meine Süße.
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    «Die Carcisten.» Mergoult warf den Kopf zurück. «Der Carcès, das ist für euch eine Mischung aus einem großspurigen Idioten à la Bossard und einem kinderfressenden Monster wie Maynier, und genau so seht ihr all seine Getreuen. Aber das ist nicht das wahre Gesicht des Carcès, genauso wenig wie es das wahre Gesicht unseres Bundes ist, Couvencour. Oh ja, wir sind Anhänger des Katholizismus, weil es die angestammte Religion unseres Landes und unseres Volkes ist, aber vor allem…»
    «Angestammte Religion!», warf Arnac spöttisch ein. «Wir sind das ketzerischste Volk der Welt. Der Untergang der Katharer war der Untergang der okzitanischen Unabhängigkeit, vergesst das nicht.»
    «… aber vor allem sind wir Anhänger der alten Prouvenço, des alten Rechts, der alten Begriffe

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