Die Kinder des Ketzers
von Ehre und Ritterlichkeit, all jener Ideale, die von diesen Hofschranzen in Paris mit Füßen getreten werden», fuhr Estève de Mergoult unbeirrt fort. «Das ist unser Credo, unsere Überzeugung, das große Ziel, das uns verbindet mit allen wahren Provenzalen, die noch an die Größe unseres Volkes glauben und nicht akzeptieren, zu einem Spielball in den Händen eines fremden Herrschers zu werden, sei er deutsch oder französisch. Alexandre! Mein Gott! Er ist wie Maynier und de la Font und die ganze Bande, er gleicht bis aufs Haar diesen Verbrechern, die aus purer Habgier unser Land und unseren Glauben in Blut ertränkt haben. Diese Leute haben keine Ideale, Couvencour. Ihnen geht es nur um Macht, Gold und Besitz. Sie opfern dafür alles und jeden. Sie opfern die Prouvenço, Couvencour, verschachern sie an Henri von Paris für ein paar Titel und ein paar Morgen Land. Aber der Carcès wird ihrem unseligen Treiben nicht länger tatenlos zusehen, das schwöre ich Euch. Wir werden nicht länger tatenlos zusehen! Und deswegen werde ich nicht zulassen, dass Alexandre einen Mann tötet, der nur das getan hat, was ihm die Ehre und die Gerechtigkeit geboten haben.» Er holte tief Luft. «Ihr seid frei, Couvencour.»
Frei. Das Wort klingelte in Sébastiens Ohren, ob provenzalisch oder nicht. Frei. Weg aus dieser Dunkelheit, die Arme wieder bewegen können, essen, trinken, Gott, es war eine berauschende Vorstellung!
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Arnac sah Mergoult noch immer an. «Was wollt Ihr mit all dem sagen? Was hat der Carcès vor?»
«Gott, Couvencour, Ihr wisst ebenso gut wie ich, dass es Krieg geben wird, egal, was ich oder Ihr oder der Carcès davon halten mögen. Im ganzen Land stacheln Fanatiker zur Hetzjagd auf die Protestanten auf. Noch hat der König nicht sein Amen dazu gegeben. Aber das wird bald der Fall sein. Ketzerjagden sind das Beste, was einem König passieren kann, denn sie kosten nicht viel, weil es größtenteils ein Krieg gegen Wehrlose ist, aber sie bringen Geld. Bald wird der Krieg gegen die Protestanten von höchster Stelle abgesegnet werden, so wie dereinst bei den Waldensern. Nur mit einem kleinen Unterschied. Und das ist vielleicht Mayniers Schuld.» Er machte eine Pause. «‘45
‘ hat den Protestanten gezeigt, was man zu
erwarten hat, wenn der König einen zur Jagd freigibt. Die Protestanten werden sich nicht widerstandslos abschlachten lassen, Couvencour, das wisst Ihr doch auch. Also wird es Krieg geben. Einen furchtbaren Krieg, denn die Gegner werden einander als die Ausgeburten der Hölle betrachten und entsprechend behandeln. Habt Ihr die Waffen im Hof gesehen? Was uns bevorsteht, Couvencour, wird schlimmer sein als 1545, schlimmer als alles, was wir uns zum gegenwärtigen Zeitpunkt vorstellen können. Aber wenn es dazu kommt, werden wir bereit sein. Wir werden die Gunst der Stunde nutzen und uns unsere angestammten Rechte zurückerobern, wenn es sein muss, mit der Waffe in der Hand. Und wenn wir siegen, Couvencour, wenn es uns gelingt, die alte, freie Prouvenço wieder zu errichten, dann wird es auch keine Verfolgung der Protestanten mehr geben, das versichere ich Euch, denn unser Recht lässt keine Inquisition und kein willkürliches Morden zu!»
«Das glaubt Ihr doch selbst nicht», sagte Arnac kopfschüttelnd.
«Oh doch», sagte Mergoult konsterniert. «Daran glaube ich, mein Junge.»
Arnac rang nach Luft. «Mein Gott, der Carcès ist ein Machtmensch. So einer lässt sich nicht für einen verlorenen Kampf einspannen, wie Ihr ihn vorhabt. Bisher hat er dem französischen König gedient, wieso sollte er es jetzt plötzlich nicht mehr tun? Zumal das deutlich lukrativer für ihn ist, als sich für Eure aussichtslosen Ideen aufzuopfern. Und selbst wenn ich ihn falsch einschätze und 898
der Carcès wirklich so hochstehende Motive hat, wie Ihr behauptet, stehen ihm eine Unzahl irrer Fanatiker gegenüber, für die nur ein toter Protestant ein guter Protestant ist. Und Ihr glaubt doch nicht im Ernst, dass die Valois und die Guises tatenlos zusehen werden, wie Ihr hier ein provenzalisches Königreich errichtet. Ihr werdet mit ihnen an einem Strang ziehen müssen oder Ihr werdet zwischen den Fronten aufgerieben werden.» Sébastien verdrehte verzweifelt die Augen. Na klar. Arnac de Couvencour würde wahrscheinlich auch noch auf einem Scheiterhaufen philosophische Diskussionen führen. Aber er wollte schlichtweg hier ‘raus!
«Verdammt, Couvencour», Mergoult war in die Knie gegangen, hatte Arnac an den
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