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Die Kinder des Ketzers

Die Kinder des Ketzers

Titel: Die Kinder des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Klink
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seine Ruhe haben vor den Umtrieben, den Feiern, der Fröhlichkeit. Ein Einsamer am Rande des Lebens. So wie sie.
    Sie klopfte nicht an. Wie will man auch anklopfen, an einem Zelt. Sie hob einfach den Vorhang, der den Eingang verschloss, und trat ein.
    Er fuhr herum wie von einer Wespe gestochen. Mit einer blitzschnellen, fließenden Bewegung warf er eine Decke über den Boden im hinteren Winkel des Zeltes. 888
    Sie lehnte sich gegen die hölzerne Zeltstange, die tief in den harten Boden getrieben war. Das Zelt war geräumig, sie konnte aufrecht darin stehen.
    «Catarino.» Nie zuvor hatte er sie so genannt. Barouneto, hatte er gesagt, und Hochwohlgeboren, und Eure Adligkeit, lauter Anreden, die der pure Hohn aus seinem Mund waren. Niemals Catarino. «Catarino, was ist?»
    Sie weinte. Sie ließ sich auf den Boden rutschen, auf die rauen Pferdedecken, die den Staub zu ihren Füßen bedeckten, und weinte. Sie fühlte sich weit, weit fort, verloren in einem Meer abgrundtiefer Traurigkeit. Sie weinte, während er den Arm um sie legte und ihr tröstend über die Haare strich. Das Gefühl, weit fort zu sein, verstärkte sich, als sie die Wärme seiner Haut in ihrem Nacken spürte. Sie hatte den Eindruck, dieses Gefühl noch weiter steigern zu können, indem sie ihren Kopf an seine Brust legte, also tat sie es.Dannerzähltesie.AnseinenwarmenKörpergeschmiegterstattete sie ihm Bericht über all die schrecklichen, gemeinen, ungerechten Ereignisse der letzten drei Wochen. Wie sie erfahren hatte, dass ihr Vater nicht an einer Krankheit gestorben war, sondern sich als Ketzer verhaftet im Gefängnis das Leben genommen hatte. Wie ihre Brüder verschwunden und wieder zurückgekehrt waren, der kleine Frederi Jùli mit einer Kugel in der Schulter und nahezu verblutet. Von Frederi, dem verhassten Frederi, der gewiss ihren Vater verraten hatte, um ihre Mutter heiraten zu können. Und von ihrer Mutter, die sie geliebt, der sie vertraut hatte, ein Leben lang. Und die doch ihren Vater in der Not verlassen hatte, ihn dem Tod in den Händen der Inquisition überantwortet hatte. Deren immerwährende Liebesschwüre ihrem Vater gegenüber nichts anderes gewesen waren als eine weitere Lüge. Es ist so schrecklich, schluchzte sie immer und immer wieder, wie soll ich denn so weiterleben?
    Er brachte ihr einen Becher Wasser und legte seinen Umhang um ihre Schultern. Sie schluchzte ruckartig, während sie an dem Glas nippte. «Es wird besser werden», sagte er.
    Sie schüttelte den Kopf. Es war unvorstellbar, jemals in diesem Leben wieder etwas anderes tun zu können als zu weinen. 889
    «Dein Vater würde nicht wollen, dass du den Rest deines Lebens in Trauer verbringst, und noch viel weniger, dass du stirbst», erklärte Hannes. Er saß auf der Truhe mit den Eisenbeschlägen, die am rechten Rand des Zeltes stand. Was er wohl darin aufbewahrte?
    Seine Kostüme? «Deshalb wirst du überleben, und deshalb wird es dir eines Tages wieder besser gehen. Als mein Vater starb, habe ich auch nicht mehr leben wollen, bis ich das begriffen hatte. Wir müssen weiterleben, sonst wäre ihr Tod umsonst gewesen.»
    Sie schüttelte den Kopf. Ihr Gesicht war nass vor Tränen. «Es ist so furchtbar», wimmerte sie. «So furchtbar.»
    «Glaub mir, Catarino, ich weiß, wie du dich fühlst», sagte Hannes.
    «In meiner Familie hat es in den letzten zwei Generationen nicht einen gegeben, der nicht eines gewaltsamen Todes gestorben ist. Mein Vater… war aus Deutschland, aus dem Süden, aus einem kleinen Dorf bei Nördlingen, das ist eine Stadt in der Nähe von Augsburg. Der Hunger hat die süddeutschen Bauern in den zwanziger Jahren in die Rebellion getrieben. Mein Vater war noch ein Knabe, als er damals mit seinem Vater und seinen sechs älteren Brüdern in den Kampf gegen die Fürsten zog. Sie fühlten sich unschlagbar, dieses Bauernheer, sie zählten fast achttausend Mann, sie beherrschten das Land, raubten und plünderten nach Herzenslust, sie fühlten sich wie die Herren der Welt, und sie wurden Anfang Mai des Jahres 1525 in einem halben Tag von einer siebenhundert Mann starken Truppe des Markgrafen von Ansbach bei einem Kaff namens Ostheim von der Bildfläche gefegt. Hunderte der Bauern starben im Kampf, Hunderte auf dem Schafott, Hunderte wurden geächtet oder vertrieben und dem Hungertod preisgegeben. Mein Großvater und seine Söhne schlugen sich mit anderen flüchtigen Bauern ins Hessische durch, wo sie sich dem oberschwäbischen Bauernhaufen anschlossen, der

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