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Die Kinder des Ketzers

Die Kinder des Ketzers

Titel: Die Kinder des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Klink
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füllte ihren Mund. War sie tot? War das die Hölle, in die man sie verbannt hatte, weil sie immer so unartig gewesen war? Da war ein Licht auf Höhe ihrer Augen, ein spaltförmiger Feuerschein, der sich zu drehen und zu biegen schien, wenn sie ihn betrachtete. Hinter dem Licht waren Stimmen, laute, raue Männerstimmen, lachend die einen, grölend die anderen. Der Geruch nach Schießpulver erfüllte die Luft. Schießpulver und Hölle. Passt wohl zusammen.
    Ihr Kopf schmerzte, als ob er jeden Augenblick zerspringen wollte. Dunkle Schwaden umkreisten ihre Augen. Da war etwas, zu ihrer Rechten. Gegenstände, vage beleuchtet vom Schein des spaltförmigen Lichtes. Säcke, Krüge, Schläuche, Fässer, Holzscheite. Sie hätte es für ein Vorratslager gehalten, wenn man davon absah, dass ein Vorratslager in der Hölle nichts zu suchen hatte. Sie versuchte, ihre rechte Hand zu bewegen. Zäh wie Pech streckten sich ihre Finger, betasteten den Schlauch, der ihr am nächsten lag. Etwas blieb kleben an ihrem Zeigefinger, kalt 901
    und schmierig. Sie zog den Arm zurück, langsam, mühsam. Er war schwer wie Granit. Ihre Finger rochen nach Öl.
    Was hat das zu bedeuten? Oh Gott, wo bin ich hier?
    Sie hob den Kopf. Gallige Übelkeit stieg in ihr hoch, japsend ließ
    sie sich zurücksinken. In ihrem Kopf hämmerte der Schmerz wie ein Schmiedehammer.
    Jesus und Maria, helft mir, helft mir doch.
    Zweiter Versuch. Vor ihr tanzte und kippte der Lichterschein. Eine Türschwelle, wie es schien. Ein zweiter Lichtpunkt in größerer Höhe. Vielleicht das Schlüsselloch. Sie saß, keuchend und würgend. Gott im Himmel, was hatte das alles zu bedeuten? Sie erinnerte sich an nichts mehr. Nichts mehr seit dem Moment, in dem diese Kerle in Hannes’ Zelt gestürmt waren. Auf Händen und Knien rutschte sie zur Seite. Die Fässer. Hier drin war das Schießpulver, das sie bereits gerochen hatte. Catarino kämpfte um Atem. Dann begann sie, auf die Tür zuzukriechen, Schritt für Schritt. Sie zog sich an der Tür nach oben, verriegelt, natürlich. Sanft schwankte der Boden unter ihren Füßen, während sie ihr Gesicht gegen die Tür legte und das Auge ans Schlüsselloch presste. Sie war nicht tot. Sie war nicht in der Hölle. Aber wesentlich besser war es nicht.
    ***
    Sie schlugen Quartier auf im Glockenturm der Augustinerkapelle. Ein hervorragender Ort, um vor Überraschungen sicher zu sein, meinte Bruder Antonius. Ob er dabei eher an unwillkommene Lauscher oder an Mordanschläge dachte, verschwieg er freundlicherweise. Zutreffend war es sicherlich für beides. Die Glockenstube war ein drei mal drei Schritt großes Kämmerchen oben im Turm, dessen einziger Eingang eine hölzerne Luke im Boden war, zu der man über eine Leiter gelangte. Bis auf das kleine Glöckchen mit der Gravur ‹Pro Dei Gloria› war dieser Raum leer. Sie zogen die Leiter nach oben und schlossen die Luke. Um mir jetzt etwas anzuhaben, müsste der Genevois schon den Konvent anzünden, dachte Fabiou. Was er demselben natürlich jederzeit zugetraut hätte. 902
    Die Sonne sank, Schatten fielen über die Stadt. Der Glockenturm glühte noch eine Weile in einem unirdisch goldenen Glanz, der Farbe kräftigen Weißweins, der die Glocke in einem tiefen Bronzeton schimmern ließ, dann versank auch er in Dunkelheit, und der einzige erleuchtete Fleck über der Stadt blieb der Turm von Sant Sauvaire, über den ein düsterer Schatten langsam emporkroch wie die Flut, die einen Felsen verschlingt. Bruder Antonius hatte eine Öllampe mitgebracht, die er anzündete und auf den Boden stellte. Sanftes Licht flackerte durch die Glockenstube. Durch die Luken in den Wänden wehte der Abendwind und brachte eine erste Ahnung von Kühle mit sich.
    Fabiou hatte alles auf dem Boden ausgebreitet. Trostetts Brief im Original und in Antonius’ Übersetzung. Die Abschrift der Widmung aus «Utopia». Onkel Pierres Büchlein. Die Prozessakten von Onkel Pierre und seinem Vater. Seine Notizen zu Hannes’ Tarot. Den Brief aus dem confidentiel. Und den zusammengerollten Holzspan mit der Aufschrift Santonou. Er setzte sich davor auf den Boden. «Irgendwo in alledem liegt die Antwort», sagte er. Bruder Antonius nickte. «Lass uns zusammenfassen, was wir wissen», meinte er. «Die Bruderschaft hat 1545 versucht, den Feldzug gegen die Waldenser zu verhindern. Sie wurde aber verraten und ihre Mitglieder größtenteils getötet. Trostett, ein deutscher Geheimagent, erfuhr von dem Verrat an der Bruderschaft, unternahm aber

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