Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Kinder des Ketzers

Die Kinder des Ketzers

Titel: Die Kinder des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Klink
Vom Netzwerk:
zwischen ihnen und dem Feuer werden Gegenstände vorbeigetragen, und sie sehen immer nur den Schatten der Gegenstände auf der Wand, nie die Gegenstände selbst. Dennoch halten sie den Schatten für die Realität, weil sie keine andere Realität kennen!»
    «Ja, und? Was hat das damit zu tun?», fragte Antonius verständnislos.
    «Jesus, Antonius, bei uns ist es dasselbe! Denk an Trostett. Wir wussten, dass er ermordet wurde, und wir glaubten zu wissen, dass er Kaufmann war. Und was war deine Schlussfolgerung? Handelskrieg. Aber Trostett war gar kein Kaufmann, also war die ganze Schlussfolgerung nichtig! Antonius, wir sehen, was die Menschen tun, und wir glauben zu wissen, wer oder was sie sind, und wir 905
    versuchen, einen Zusammenhang herzustellen zwischen ihren Handlungen und dem, wofür wir sie halten. Aber wenn es so ist, wie Hannes sagt, dann können wir auf diesem Weg gar nicht zu der richtigen Lösung gelangen! Gott, Antonius, wir müssten versuchen, alle so zu beurteilen, als ob wir nichts über sie wüssten, so wie ein komplett Außenstehender sie beurteilen würde, einer, der nur ihre Handlungsweisen sieht, ohne sie unter dem Aspekt zu beurteilen, wer sie sind. So als wüssten wir nichts über all diese Menschen, so als wüssten wir nicht mal, dass ich Fabiou de Bèufort bin und du Bruder Antonius und Frederi mein Stiefvater und Philomenus mein Onkel und…» Er brach ab. Sein Gesicht war zu Stein erstarrt.
    «Fabiou?», fragte Antonius.
    «Oh mein Gott», sagte Fabiou tonlos.
    «Fabiou, was ist?»
    «Lass mich… denken, ich muss nachdenken, ich…» Er hatte seine Faust gegen die Stirn gepresst. Seine Augen blickten leer in die Ferne.
    «Sag mal, Fabiou, ist alles in Ordnung?»
    «Verdammt, lass mich nachdenken!» Er stand vor dem Fenster, reglos, nur seine Lippen bewegten sich ohne einen Laut, so als spiegle sich auf ihnen das Auf und Ab in seinen Gehirnkammern wider. Seine Hände bebten vor Anspannung.
    «Fabiou…»
    «Es passt», flüsterte Fabiou. «Es passt zusammen. Alles passt zusammen.» Er wandte sich Bruder Antonius zu. In seinen Augen lag ein Glanz wie Sankt-Elms-Feuer.
    «Fabiou, was ist?»
    Er stieß einen Schrei aus, der triumphal über die Dächer von Ais hinweghallte, während er, die Arme in die Luft gereckt, um die eigene Achse tanzte. «Ich habe es, ich habe es, ich habe es!», kreischte er. Dann hielt er inne. Seine Arme sackten nach unten, und das Leuchten in seinen Auge wurde von grenzenloser Panik verdrängt.
    «Cristino», flüsterte er.
    ***
    906
    Der Raum war angefüllt mit Männern. Kräftige, unrasierte Männer in ledernen Wamsen, mit Messern und Dolchen in den Gürteln. Einige von ihnen schliefen, andere würfelten. Die meisten tranken. Krüge mit Wein kreisten und wurden grölend in Empfang genommen.
    Das war das eine, was Catarino sah. Das andere war Hannes, der Gaukler.
    Er lehnte ihr direkt gegenüber an der Wand, bewacht von zwei Kerlen mit gezogenen Dolchen. Seine Lippen waren weiß in dem sonnenverbrannten Gesicht. Über seine Stirn zog sich eine hässliche Schramme. Jemand kam. Zwei Personen, die durch den Raum schritten. Sie verbreiteten Autorität, Männer rutschten zurück, machten den Weg frei. Vor der Tür blieben sie stehen. «Da ist er», sagte einer von ihnen. Der neben ihm machte einen Schritt zur Seite, was seinen Kopf in Catarinos Blickfeld brachte. Sie unterdrückte einen Aufschrei.
    Es war der Kahle.
    «Das Mädchen», sagte der erste. «Was soll mit ihr geschehen?»
    «Welches Mädchen?»
    «Ach… so eine kleine Hure, die bei ihm war.»
    Catarinos Herz klopfte bis zum Hals. Sie sprachen über sie, das war klar.
    Der Kahle zuckte mit den Achseln. «Was immer. Hauptsache, dass sie die Klappe hält.»
    Catarino begann leise zu wimmern, das Gesicht fest gegen die Tür gepresst. Die würden sie töten, ganz sicher würden sie das. Oh Gott im Himmel, hilf mir! Ich will doch nicht sterben!
    Der Kahle entfernte sich von der Tür, er ging auf Hannes zu, der den Kopf gehoben hatte und ihm entgegenblickte. Catarino sah, dass der Kahle etwas in den Händen hielt, was er drehte und von allen Seiten betrachtete. Es war die Maske. «Wer bist du, Junge?», fragte er. Er hatte eine angenehme Stimme. Sanft und freundlich. Hannes’ Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Grinsen.
    «Ich bin Hannes, der Gaukler», sagte er. «Wenn das alles ist, was Ihr von mir wollt, warum habt Ihr mich nicht einfach gefragt?»
    907
    Der Kahle lächelte. Die Maske drehte und wand

Weitere Kostenlose Bücher