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Die Kinder des Ketzers

Die Kinder des Ketzers

Titel: Die Kinder des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Klink
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Waldhüter hatte es eines Tages auf einer Wiese nahe Castelblanc gefunden, friedlich grasend, der Knöchel schon wieder weitgehend abgeschwollen.
    Fabiou setzte sich auf eine hölzerne Kiste und sah Loís zu. Schließlich, als das Schweigen zwischen ihnen unangenehm wurde, fragte er: «Ist es wegen Cristino?»
    Loís hielt einen Moment inne, um tief Luft zu holen, und das Pferd schnaubte. «Es war eine harte Zeit für uns alle», sagte er dann und fuhr in seiner Arbeit fort.
    «Stimmt.» Fabiou ließ seine Beine baumeln. «Ich hatte wenigstens noch das Glück, dass mich keiner aufhängen wollte», versuchte er zu scherzen.
    Loís brachte ein Lächeln zustande. «Ja, da habt Ihr allerdings Glück gehabt. Das war nicht gerade der lustigste Moment in meinem Leben.» Er holte wieder tief Luft. Gleichmäßig strich die Hand mit der Bürste durch das Fell des Tieres. «Es sind so viele Dinge», sagte er. «Eure Tante wäre noch am Leben, wenn ich Baroun Degrelho getötet hätte.»
    «Mein Gott, Loís, es war das erste Mal in deinem Leben, dass du eine Arkebuse in der Hand hattest!», rief Fabiou aus. «Ich hätte ihn ebenso verfehlt, verlass dich darauf!»
    «Ich habe ihn aber nicht verfehlt, Baroun», sagte Loís leise. «Ich war ihm so nah, dass ich ihn gar nicht hätte verfehlen können. Ich habe es nicht über mich gebracht, ihn zu töten. Ich dachte an die Bibel, daran, dass Töten Sünde ist. Und ich dachte, dass kein 1058
    Gericht der Welt Verständnis für einen Diener hätte, der einen Baroun tötet, um einem gesuchten Ketzer das Leben zu retten. Also zielte ich auf seinen Arm, in der Hoffnung, ihn zu entwaffnen und Senher Couvencour so zu retten. Als ich ihn traf und er sich zur Flucht wandte, war ich auch noch stolz auf mich, Baroun. Bis zu dem Moment, als wir Eure Tante an jener Tür fanden.» Er schwieg wieder. Das Pferd schüttelte den Kopf und stellte die Ohren. «Und Barouneto Cristino…»
    «Du liebst sie», stellte Fabiou fest.
    «Ja, ich liebe sie. Ja, ich weiß, dass sie unerreichbar für mich ist. Ja, ich weiß, dass ich sie und mich mit dieser Liebe in Schwierigkeiten bringe. Sonst noch Fragen?» Die Bürste hielt inne auf dem Rücken des Pferdes. «Barouneto Catarino hat recht», sagte Loís leise. «Manchmal muss man einfach gehen.»
    Fabiou erstarrte mitten in der Bewegung. «Du willst… fort?»
    «Es ist das Beste für alle», sagte Loís.
    «Aber… wo willst du hin? Und was willst du machen?» Es gab nicht allzu viele Möglichkeiten für einen Diener, der seinen Herrn verlassen hatte. Er konnte versuchen, bei einem anderen Herrn in Stellung zu gehen, das war die beste. Er konnte sich als Tagelöhner verdingen, bei der Ernte oder beim Bau zum Beispiel. Er konnte in die Armee eintreten, und er konnte als Matrose zur See fahren. Die meisten dieser Alternativen waren mit harter Arbeit, schlechter Behandlung und einem entbehrungsreichen und oftmals gefährlichen Leben verbunden. Aber Loís’ Antwort warf Fabiou beinahe rückwärts von der Kiste. «Ich dachte mir, ich könnte studieren», sagte Loís.
    «Studieren? Du?»
    «Ja. Rechtslehre, dachte ich. Das hat mich doch schon immer interessiert, und ich besitze auch die nötigen Vorkenntnisse. Natürlich nicht in Ais. Irgendwo, wo mich keiner kennt, Paris vielleicht. Ich denke, mein Französisch müsste ausreichen, der Unterricht ist ja sowieso auf Latein.»
    «Ja, aber… aber, du hast doch kein Geld und keine Referenzen und nichts!»
    Loís zuckte mit den Achseln. «In Ais gibt es auch Bettelstudenten, die aus ganz einfachen Familien stammen. Irgendwie wird es schon 1059
    gehen.» Er grinste schief. «Ihr werdet mich verstehen, nicht wahr?
    Ich hoffe es. Ich bezweifle, dass sonst jemand es verstehen wird.»
    «Ich werde dich verstehen», versprach Fabiou ernsthaft. Am 10. Juli verkündete Bruder Antonius, dass er am nächsten Tag nach Ais zurückkehren würde. So lange war er in Castelblanc geblieben, zum Teil Cristino zuliebe, zum Teil weil er sich beim besten Willen nicht vorstellen konnte, sofort wieder in den Alltag seiner Kongregation zurückzukehren. Doch er wusste, dass er unmöglich noch länger ohne Erlaubnis seinem Konvent fernbleiben konnte, und bereitete nun seine Abreise vor.
    Vielleicht war es das Gespräch mit Loís, das Fabiou dazu brachte, an diesem Abend seinen Stiefvater in dessen Zimmer aufzusuchen, wo er am Tisch saß und sich um einige Korrespondenzen kümmerte, die über die Zeit in Ais liegen geblieben waren. Als Fabiou

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