Die Kinder des Ketzers
offensichtlich doch nicht getäuscht hatte, erteilte ihm die eindeutige Anweisung, in seinem Versteck zu bleiben und zu beten, dass ihn der Fremde nicht entdeckte.
Er ging so nahe an Antonius vorbei, dass dieser nur einen Finger hätte bewegen müssen, um ihn zu berühren, und für einen Moment sah er ganz klar den Kopf des Mannes, ein altersloses Gesicht mit einer scharf geschnittenen Nase, das Haupt darüber nahezu ganz kahl. Dann drückte der Fremde die Tür zur Kapelle auf und verschwand im Innern.
Stille. Die Tür hatte sich wieder geschlossen. Atemlos kauerte Antonius an der Wand, lauschte auf das Pochen seines Herzens und überlegte, was er tun sollte. Dem Fremden in die Kapelle folgen, für den Fall, dass es ein Räuber war, der es auf die Altargeräte abgesehen hatte? Alarm schlagen, den Abt holen, die Brüder wecken?
Die Augen des Herrn blicken auf die Gerechten, und seine Ohren hören ihr Schreien , dieser verfluchte 34. Psalm, er wollte sich die Hände auf die Ohren pressen, um seine Worte auszusperren!
Und die Tür öffnete sich wieder. Einen Moment lang stand der Kahlköpfige ruhig im schwachen Schimmer des Sternenhimmels, der durch den Innenhof in den Kreuzgang fiel, dann bewegte er sich weiter, schritt lautlos durch den Kreuzgang, sich auflösend zwischen den Schatten der Nacht.
108
War es Anmaßung, Neugierde oder Spiel mit dem Schicksal?
Ohne einen Moment des Nachdenkens folgte Antonius ihm, schlich ihm nach durch den Kreuzgang, hinein in das Refektorium, geduckt hinter Tische und Bänke, ein unhörbarer Schatten zwischen anderen Schatten. Der Kahle schritt unbeirrt weiter, er war gut, aber nicht gut genug für Bruder Antonius, der ihm nachglitt so unmerklich und unaufhaltsam wie ein Gedanke, zu einem der schmalen Fenster, von denen aus man auf die Straße blicken konnte…
Blitzschnell. Ein Griff nach draußen, ein Satz auf die Brüstung des Fensters, und der Fremde schwang sich nach draußen. Bis Antonius am Fenster war, sah man unten nur noch einen schwarzen Schatten um die Biegung verschwinden.
Antonius atmete laut auf, so groß war die Erleichterung. Einen Moment lang stand er noch so und starrte auf die nächtliche Straße hinunter. Was in aller Welt hatte der Fremde hier gewollt?
Die Augen des Herrn blicken auf die Gerechten, und seine Oh- ren hören ihr Schreien.
Antonius machte kehrt und lief zur Klosterkapelle zurück. Die Szene schien sich auf den ersten Blick nicht verändert zu haben, als er die Tür aufdrückte. Da war die Kerze, die sacht im Luftzug von der Tür flackerte, da war Bruder Servius auf der Bank vor dem Altar. Doch, etwas hatte sich verändert. Etwas in seiner Haltung. Sein Kopf, der leicht zur Seite gesunken war, das Gebetsbuch, das vor seinen Füßen auf dem Boden lag. Still, um den Frieden der Kapelle nicht zu stören, schritt Bruder Antonius auf die Bank zu. Die Gewohnheit ließ ihn zum Knicks ansetzen, aber er brach ab, bekreuzigte sich nur langsam und konzentriert. Die vertraute Handbewegung wirkte dem Zittern entgegen.
Bruder Servius war auf seinem Sitz zusammengesunken. Im Schein der Kerze war deutlich der große glänzende Fleck auf seiner Kutte über der Brust zu erkennen und die rote Pfütze, die sich unter seinen Füßen ausgebreitet hatte. Langsam bückte sich Bruder Antonius, hob das Gebetsbuch auf und legte es auf die Bank zurück. Sein Blick fiel auf die Wand über Bruder Servius’ Kopf. Ein einzelnes Wort stand dort in großen, schreiend roten Lettern geschrieben.
109
Santonou
Er tastete nach dem Schriftzug, wusste, dass es Blut war, noch bevor seine Finger die Buchstaben berührten. Er zögerte einen kurzen Moment, sein Zeigefinger verschmierte ein klebriges, erkaltendes S. Dann griff er sich das Altardeckchen. Zwei-, dreimal wischte er heftig mit dem fein gewebten Stoff über die Schrift an der Wand. Als er zurücktrat, war der Schriftzug verschwunden, nur ein roter Schmierer zog sich über den Stein und sandte kleine Rinnsale aus gerinnendem Blut zur Lehne des Gebetsstuhls hinab. Bruder Antonius ließ die Decke auf den Altar zurückfallen und verließ mit hastigen Schritten die Kapelle.
110
Kapitel 3
in dem ein Toter am Wegesrand gefunden wird –
und es bleibt nicht der einzige
Qu’est-ce de nostre vie? une bouteille molle
qui s’enfle dessus l’eau quand le ciel fait plouvoir et se perd aussi tost comme elle se fait voir,
s’entre-brisant à l’heurt d’une moindre bricole.
Was ist unser Leben? Eine zerbrechliche Flasche,
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