Die Kinder des Ketzers
es ernst!» maulte Catarino beleidigt. «Ich habe das schon mal irgendwo gehört, Carfadrael.»
«Ja! Ist ja recht!», stöhnte Fabiou. Dann versank er in ein kurzes Schweigen. «Und was ist», sagte er schließlich, «wenn es doch euer Bruder Servius war?»
Antonius lachte kurz auf. «Fabiou – unser Bruder Servius war ein verschrobener Bücherwurm und keiner, der sich in tödliche Intrigen einmischt, glaube mir!»
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«Trotzdem – es gibt immerhin eine Parallele zwischen beiden Morden.» Fabiou sah auf. «In beiden Fällen ist nichts gestohlen worden.»
Bruder Antonius schüttelte den Kopf. «Fabiou, ich weigere mich, zu glauben, dass sich Bruder Servius je für etwas anderes interessiert hat als für die Bibliothek und seine Studien über Hesekiel. Und du weißt, es gibt die unterschiedlichsten Erklärungen dafür, dass nichts gestohlen worden ist.»
«Wie bei Trostett auch», kommentierte Fabiou. «Aber was wir aus seinem Aufschrieb erfahren haben, scheint mit keiner dieser Erklärungen auch nur im geringsten Zusammenhang zu stehen.»
Bruder Antonius öffnete den Mund zum Widerspruch, doch ein schriller Schrei Catarinos hielt ihn davon ab. «Jetzt weiß ich es!»
Sie war aufgesprungen, ihre grünen Augen blitzten. «Carfadrael. Ich weiß jetzt, woher ich ihn kenne. Es ist einer aus der Gralssage!», rief sie strahlend.
«Aus der Gralssage?» Bruder Antonius schüttelte den Kopf. «Das kann nicht sein, Catarino, ich kenne die Gralssage ziemlich gut, da kommt kein Carfadrael vor.»
«Doch, ich weiß es, ganz genau!» Catarinos Augen funkelten wütend. «Vater hat es mir erzählt! Von den Gralsrittern! Galahad, und Parcifal, und Schionatulander. Und Carfadrael.»
«Himmel, Catarino, hör auf damit – du kannst dich nicht an Vater erinnern!», schrie Fabiou erbost. Einen Moment lang starrte sie ihn an mit offenem Mund. Dann sprang sie auf. «Das kann ich wohl!», kreischte sie und stürzte zur Tür hinaus.
«Und was machen wir jetzt?», fragte Frederi Jùli gespannt.
«Lateinunterricht», sagte Antonius trocken und wischte die Tafel sauber.
***
Die Schuhe trafen am Samstagnachmittag bei den Aubans ein, gerade noch rechtzeitig zur Gesellschaft der Ardoches. Catarino und Cristino hüpften wie die Amseln im Salon des Hauses herum, restlos verzaubert von der Schönheit ihrer neuen Fußbekleidung. 180
«Die werden merveilleux zu meinem blauen Kleid aussehen!», erklärte Catarino ein ums andere Mal, während Cristino in stiller Verzückung auf das Blitzen und Blinken der Silberfäden um ihren Fuß blickte. Die Mutter und die Großmutter bewunderten sie nach Kräften, «meine Töchter» jauchzte die eine und «meine Enkel» die andere, um sich im nächsten Moment so giftige Blicke zuzuwerfen wie zwei Hennen, die um denselben Hahn balzten. Der Cavalié de Castelblanc beglückwünschte pflichtschuldig seine Stieftöchter, und alles war somit wie erwartet, inklusive der gönnerhaften Ratschläge von Onkel Philomenus und Tante Eusebias spitzer Kommentare.
Fabiou der Poet war gleich zu Beginn der Kleiderschau ins Studierzimmer geflohen, wo ein verzweifelter Frederi Jùli «video, vides, videt, videmus, videtis, vident» vor sich hin jammerte. «Merk’ dir eins fürs Leben, Kleiner», meinte er weise. «Wenn Weiber ihren Modefimmel kriegen, hilft nur die sofortige Flucht.»
Catarino nahm das Desinteresse ihres Bruders mit würdevoller Gelassenheit hin. «Fabiou ist ein ignorant , das habe ich schon immer gewusst», erklärte sie ihrer Schwester. «Interessiert sich nur für seine drittklassige Poesie und für seine komischen Mordgeschichten! Pah!» Cristino hörte ihr nur mit einem Ohr zu. Sie hatte soeben eine beunruhigende Feststellung gemacht. Ein bisschen, ein ganz kleines bisschen drückten die neuen Schuhe. Hab dich nicht so, dumme Gans, neue Schuhe drücken immer, wenn du erst mal ein paar Stunden in ihnen gelaufen bist, wird das schon.
«Ich bin so gespannt, wer morgen alles da sein wird», plapperte Catarino weiter. «Wahrscheinlich kenne ich einige von zu Hause, aber es werden ja auch Leute aus anderen Gegenden kommen.» Sie seufzte tief bei dem Gedanken daran, was für prächtige Burschen ihr auf der Feier bei den Ardoches begegnen mochten. Der Cavalié, der offensichtlich Gedanken lesen konnte, erklärte steif, er verlasse sich darauf, dass sie beide anständige Mädchen seien und sich von keinem der jungen Herren zu einem sündhaften Tun hinreißen ließen, was Cristino bis hinter beide Ohren
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