Die Kinder des Ketzers
dreinblickte aufgrund der Reihenfolge, in der Roubert ihre Namen genannt hatte, fixierte die genannte Alessia. Rivalinnen muss man sich stellen, Aug in Aug. In Alessias schwarzen Glutaugen erschien ein etwas verwirrter Ausdruck, während 185
sie die Schwestern musterte. «Bèufort?», fragte sie Roubert. «Davon habe ich noch nie gehört. Wo ist das?»
«Bei Arle», antwortete Catarino.
«Oh.» Alessia bedachte sie mit einem etwas erstaunten Blick, so als sei sie überrascht, dass sie sprechen konnte. «Das ist ja…
interessant.»
«Sie wohnen aber in Castelblanc. Der Cavalié de Castelblanc ist ihr Stiefvater», warf Artus eilig ein, wobei er sich etwas näher an Alessia heranschob, was ihm einen bösen Blick von seinem Bruder eintrug. «Das ist bei uns in der Gegend», fügte er rasch hinzu.
«Wie reizend.» Alessia ließ ein glockenhelles Lachen hören.
«Ach, das muss ein großes Abenteuer sein, so vom Land zum ersten Mal in die große Stadt zu kommen…»
«Wir sind in Ais geboren», erklärte Catarino. Ihre grünen Augen hatten ein eigenartiges, wespengelbes Schillern angenommen.
«Ach ja? Ihr wart aber lange nicht mehr hier, oder? Es hat sich ja so viel verändert in den letzten Jahren! Ihr kennt die meisten hier wahrscheinlich gar nicht? Ich denke, ich werde euch ein bisschen herumführen, damit ihr wisst, wer wer ist… Richard, du hältst doch mein Glas so lange?» Sie drückte einem pickelgesichtigen Jungen, der knallrot wurde, ihr halbvolles Weinglas in die Hand, hakte Catarino links und Cristino rechts unter und zog sie mit sich, die protestierenden Rufe der jungen Herren ignorierend.
«Ein Glück, dass ihr gekommen seid, petites , die sind ja so langweilig, diese dummen Jungs vom Land…», flüsterte sie und kicherte.
«Christelle – so heißt du doch, petite , nicht wahr – das ist ja ein interessantes Amulett, das du da hast. Ein Erbstück? Meine Oma hat ein ähnliches.»
«Ich heiße Cristino», widersprach Cristino.
«Cristino – ich sollte dich wirklich Christelle nennen, das klingt doch viel besser. Du solltest es wenigstens französisch aussprechen, man spricht doch jetzt alles französisch aus. Überhaupt spricht man ja nur noch französisch, n’est-ce pas ?» Wieder das glockenhelle Lachen. «Wie alt seid ihr eigentlich, petites ? Vierzehn?»
«Sechzehn, und du?», fragte Cristino.
«Sechzehn! Ach, wie süß! Dann seid ihr ja bald erwachsen. Ich bin neunzehn», fügte sie hinzu. Catarino verdrehte die Augen. 186
Wer’s glaubt wird selig, sagte ihr Blick. «Seht mal, da.» Alessia wies mit einer Hand, an der ungefähr zehn Ringe blitzten, auf ein pummeliges Mädchen mit treuherzigen braunen Rehaugen. «Regina d’Ardoche, die jüngste der drei Ardoche-Töchter. Die armen Ardoches! Drei Töchter und keine Mitgift! Weiß nicht, wie sie es geschafft haben, die älteren beiden zu verheiraten! Ist das Kleid nicht unmöglich, das sie trägt? Es hat ihrer Schwester gehört, sie trägt nur die alten Sachen von ihrer Schwester auf. An ihr sieht es aus wie ein Mehlsack, findet ihr nicht auch? Überhaupt – wer trägt heutzutage noch rosé? Das ist doch vollkommen hors de la mode .»
Cristino nickte gequält, ihre Füße taten weh. Catarino machte ein Gesicht, als wolle sie Alessia erwürgen, während sie gleichzeitig unsicher nach unten auf ihr eigenes roséfarbenes Kleid schielte.
«Das Pummelchen da drüben ist Nicolas de Bouliers, Baron de la Tour d’Aigue und Comte de Cental», fuhr Alessia ungerührt fort und zeigte auf einen jungen Mann Mitte Zwanzig mit einem rundlichen, freundlichen Gesicht, der gerade ins Gespräch mit dem Baroun d’Ardoche vertieft war. «Nicht gerade der Attraktivste, aber eine gute Partie, das kann ich euch sagen, deswegen umschwärmen ihn die Weiber wie die Fliegen. Aber er ist wohl schon so gut wie vergeben, zu schade. Die da an der Tür sind die Schwestern Artois. Halten sich für etwas Besonderes, weil ihr Vater einen Sitz im Parlament hat. Das dahinten ist er, der Herr Papa, der mit der Glatze. Man sagt», sie senkte ihre Stimme und warf den Zwillingen verschwörerische Blicke zu, «er wäre ein Charmeur , r und dass keines Mädchens… ähm… Ruf in seiner Gegenwart sicher wäre.» Sie kicherte. «Der neben dem Fenster ist St. Etienne, der Berater von Seigneur de Barthélemy, dem königlichen Intendanten. Die Ardoches hatten natürlich den Intendanten persönlich eingeladen, aber es hatte selbstverständlich niemand daran geglaubt, dass er
Weitere Kostenlose Bücher