Die Kinder des Ketzers
gemacht oder sie zu einem heimlichen Treffen eingeladen, um dann mit ihr nach Italien zu fliehen.
«… und davon haben mich zwei geküsst», erklärte Catarino kichernd. «Erst Jean und dann Andréu. Also, es waren keine richtigen Küsse, nur auf die Backe, aber wir sehen sie ja nächste Woche wieder bei den Mancouns, und da will ich ihn richtig küssen, also, mindestens einen von ihnen, und wer weiß, vielleicht machen wir ja noch mehr!»
Cristino biss sich auf die Lippen. Vermutlich war es einfach die Strafe für ihr sündiges Verhalten. Statt dass sie ihre Tage in Trauer um ihre unerfüllbare Liebe zu Arman de Mauvent verbrachte, hatte sie sich wie eine ehrlose Person dem erstbesten Mann an den Hals geworfen, der ihr schöne Augen machte. Oh ja, es geschah ihr recht, dass man sie so zurückgewiesen hatte. Andererseits… wenn sie daran dachte, wie sanft Trévigny ihren Ärmel gehalten hatte, als er Salz darauf streute…
206
«Du solltest dich wirklich auch etwas mehr an die Männer herantrauen, ma m… ma petite », meinte Catarino. «Von nichts kommt nichts. Und, ehrlich, ich glaube, bei Alexandre de Mergoult hast du Chancen! Wie der dich angesehen hat! Als wollte er gleich hinter den nächsten Busch mit dir!» Sie kicherte albern.
«Meinst du wirklich?», schniefte Cristino.
«Klar!», rief Catarino und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. «Ach, Cristino, ist das Leben nicht wunderbar?»
Cristino antwortete nicht. Sie starrte an die Decke, auf der sich schwach der Widerschein des Mondes abzeichnete. Vielleicht hatte Catarino ja recht. Vielleicht war es ja einfach kindisch, wegen einer enttäuschten Liebe sein ganzes Leben wegzuwerfen. Das kindische, alberne Benehmen eines dummen, kleinen Mädchens vom Lande. Wie Mutter sagte – schließlich war sie jetzt eine erwachsene Frau, und dies war ihre erste Saison, also sollte sie auch anfangen, sich entsprechend zu benehmen, statt ihren albernen Kleinmädchenschwärmereien nachzuhängen. Und so traf Cristino de Bèufort in der Dunkelheit ihres nächtlichen Zimmers einen heroischen Entschluss: In Zukunft würde sie nicht mehr das keusche kleine Mädchen spielen, sondern wie Catarino ihr Schicksal in die Hand nehmen und ihr Herz den Kavalieren öffnen, die bereitstanden, es zu erobern. Sie küsste symbolisch die Nachtluft als Abschied an Arman de Mauvent. Lebe wohl, Arman. Mögest du glücklich werden mit Anne dem Pferd. Mein Glück liegt hier in Ais verborgen, und ich werde es finden!
Lächelnd sank Cristino in die Kissen zurück. In der Dunkelheit hörte sie Catarino leise summen:
«Mais quoy? vous abusez fort:
ceste mort,
qui vous semble tant cruelle,
me semble un gaing de bon heur
pour l’honneur
de vous qui estes si belle.»
***
207
Im Traum war sie zurück in der Kutsche, die durch den Luberoun fuhr. Sie sah das Licht der Aprilsonne durch die Fenster fallen, sie hörte das Rattern der Räder und spürte das Schwanken des Ge- fährts auf der unebenen Straße und die Rufe eines Kutschers, der galoppierende Pferde antrieb.
Etwas war falsch. Es war, als sei die Kutsche gewachsen, dehn- te sich um sie herum aus, um sie auf die Größe einer Ameise schrumpfen zu lassen. Cristino sah zu dem Fenster zu ihrer linken und konnte es nicht erreichen, so hoch war es über ihr, sie sah zu der Sitzbank ihr gegenüber, meilenweit war sie entfernt, sie tas- tete mit den Füßen nach dem Boden, doch da war nur Tiefe. Laut knarrten die Achsen und holperten die Felgen auf der Straße. Da waren Menschen mit ihr im Innern der Kutsche, stumme, verschwommene Gestalten, die ihr vage bekannt vorkamen, doch zu fern, dass sie ihre Gesichter hätte ausmachen können. Das Licht flackerte auf den Wänden wie die Feuer der Hölle, und die Kutsche stand. Das Fenster, sie musste das Fenster erreichen, sie musste sehen, begreifen was geschah, doch hoch, so hoch war das Fenster über ihr, und sie zog die Füße an und stellte sie auf die Bank, und an den unteren Rand des Fensters geklammert zog sie sich nach oben.
Dann herrschte Dunkelheit um sie, Dunkelheit, die nach Stil- le und Verlassenheit klang. Fern das Geräusch eines schreienden Käuzchens, Huhuu, Huhuu, anklagend und düster durch die Schatten starrender alter Bäume. Sie stolperte auf sumpfigen Un- tergrund, ihr Kleid verfing sich in Dornenranken und hakelnden Zweigen, lauernd beugten sich die Silhouetten uralter Weiden über sie und angelten mit den knorrigen Ästen nach ihrem Haar. Sie war nicht allein, auch
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