Die Kinder des Ketzers
grenzenlosen Entsetzen wieder der Tanzfläche entgegen. Pah, was brauche ich Alexandre de Mergoult, diesen mickrigen Provinzjunker, wenn mir ein Graf, ein echter französischer Comte, zu Füßen liegt, soll er doch ruhig gehen und mit seiner blöden Alessia tanzen, wenn es ihm Spaß macht.
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«Monsieur le Comte, Monsieur le Comte!» Gott, die alte Ardoche in ihrem ausgebleichten Kleid, das sie wahrscheinlich schon zur Taufe ihrer Töchter getragen hat! «Monsieur le Comte, wir fühlen uns ja so geehrt, dass Ihr unsere kleine Gesellschaft besucht! Habt Ihr schon unsere reizende Tochter kennengelernt?
Nein? Ich muss sie Euch unbedingt vorstellen. Unsere Jüngste, die Großen sind schon verheiratet. Sie spricht im Übrigen hervorragend Französisch…»
Machtlos sah Cristino zu, wie der Comte de Trévigny, der verzweiflungsvolle Blicke gen Himmel schickte, von der Dame Ardoche davongezerrt wurde. Himmel, das war ja hervorragend gelaufen – jetzt saß sie völlig allein hier herum! Sie musste zurück auf die Tanzfläche, koste es, was es wolle!
Sie machte nur zwei Schritte, dann wurde ihr klar, dass es vergebens war, und sie ließ sich wieder auf den Stuhl zurücksinken. Der Schmerz an ihren Fersen überstieg deutlich das Maß des Erträglichen. Verstohlen schlüpfte sie aus ihren Schuhen, um ihre geschundenen Füße zu inspizieren. Ihr Blick fiel auf verschmiertes, halb geronnenes Blut an ihrer linken Ferse. Rechts war ein münzgroßes Loch in ihren Strumpf gescheuert, und darunter war eine offene Stelle von der Größe eines Fingernagels zu erkennen, durch die ihr rohes Fleisch entgegensah. Oh Gott, sie war wahrhaft verletzt! Tränen schossen ihr in die Augen, schniefend kaute sie an einem lackierten Daumennagel herum.
Der Tanz ging weiter. Wieder schwebte Catarino vorbei, am Arm des dritten Herrn. «Nein, Senher Estrave, Ihr habt diesen Hirsch ganz alleine erlegt? Wie mutig von Euch!» säuselte sie gerade, und Estrave Junior ging sofort dazu über, ihr von seiner letzten Wildschweinjagd zu erzählen, während knapp hinter ihr Alexandre de Mergoult Alessia seine politischen Ambitionen auseinandersetzte
– «Wenn ich mein Studium der Jurisprudenz beendet habe, werde ich natürlich eine Laufbahn als Richter anstreben, wie mein Gönner, der Baroun d’Oppède. Und natürlich rechne ich damit, bald einen Platz im Conseil zu erhalten, schließlich gehören wir zu den einflussreicheren Familien in Aix…»
Cristino schniefte. Sie drehte an ihrem Medaillon herum, wickelte sich die Kette um die Finger. Warum ist das so gemein? Warum 202
hilfst du mir nicht, Maria voll der Gnaden? Ich springe sonst aus dem Fenster, und dann werden sie sehen, was sie davon haben!
Sie beschütze dich, Agnes, Sonne unseres Lebens, war auf der Rückseite des Medaillons eingraviert. Ja, so war es wohl, eine schreckliche Tragödie hatte sich hier abgespielt, die Jungfrau hatte das geliebte Töchterlein, dem dieses Medaillon gehört hatte, ebenso wenig beschützt wie sie jetzt sie, Cristino, beschützte, und die schöne, junge Agnes war an gebrochenem Herzen gestorben oder aus Trauer um den Tod ihres Geliebten freiwillig aus dem Leben geschieden, auf dass sie im Tode ewig vereint seien, und den armen Eltern war nichts geblieben außer jenes Amulett, das ein ignoranter Erbe an einen Schmuckhändler verschachert hatte. Und ebenso würde auch sie enden, in der Blüte ihrer Jahre… Sie wandte den Kopf zur Seite, starrte in die Fensterscheibe, auf die Reflexion ihres Gesichtes darinnen, bleich, schmal und von Tränen überströmt. Und vor ihren Augen begann sich die Reflexion zu verändern. Es war, als ob das Spiegelbild an Intensität gewann, weißer und weißer wurde es, während es gleichzeitig eine eigentümliche Plastizität annahm, als wolle es heraustreten aus der Fensterscheibe, und es war nicht mehr das Gesicht der Cristino Kermanach de Bèufort, sondern eine starre, grinsende Maske, aus deren rechtem Auge eine Träne kullerte und eine blutrote Spur über die schneeweiße Wange zog.
Sie schrie, während sie rückwärts stolperte. Menschen umringten sie, was ist los, Kind, was ist Euch? Zitternd zeigte Cristino auf das Fenster. «Da…da ist jemand, eine… Gestalt!»
«Wie bitte? Eine Gestalt?» Das war Fabiou, der mit ungläubigem Gesicht aus dem Fenster sah.
«Ja… eine Gestalt mit einer Maske…»
Eigenartige Blicke warfen die Erwachsenen sich zu. Der Senher d’Ardoche schritt zum Fenster, öffnete es und lehnte sich nach
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