Die Kinder des Ketzers
dis Augustin in die Stadt. Er war langgewachsen, hager; dichte, leicht gelockte, an den Schläfen ergraute Haare deckten sein Haupt wie eine Pelzmütze. Er trug einen einfachen grauen Reisemantel, wie man ihn oft bei französischen Kaufleuten oder anderen Bürgerlichen sah. Obwohl ihm der Fran212
zose auf hundert Schritte ins Gesicht geschrieben stand, quasselte er mit der Panschers-Terèso in erstaunlichem Provenzalisch, machte ihr Komplimente ob ihres geschmackvollen Kleides, ihres schönen Haars und ihres reizenden Fräulein Tochters – bei diesen Worten wurde die Schankgöre rot wie der Wein in den Gläsern und trat verlegen von einem Fuß auf den anderen – und erhielt schließlich das zweitschönste Zimmer zum halben Preis.
Ein so freundlicher Herr, und wenn halt das billigere nicht frei ist, sagte die Panschers-Terèso zum Schankmädchen und wies sie an, dem Fremden Brot, Käse und Wein zu bringen.
Der dritte Fremde kam auf der Route d’Avignon , durchquerte die Porto dis Courdelié und erreichte die Cacalauso d’Or am späten Vormittag. In der Gaststube war nicht allzu viel los, als er eintrat, die Panschers-Terèso lehnte am Schanktresen und unterhielt sich über ein Glas Branntwein hinweg mit einem Bierkutscher, und die Schankgöre versorgte gerade ein paar durstige Maurergehilfen von St. Sauvaire, Ais’ größter Baustelle, mit Getränken.
«Guten Tag», sagte er in ordentlichem Provenzalisch, «habt Ihr noch ein Zimmer frei?»
Die Panschers-Terèso musterte den neuen Gast von Kopf bis Fuß. Er war nicht sehr groß, ein freundliches, fast jungenhaftes Gesicht, wenn er auch bestimmt um die vierzig Jahre zählte. Unter den hellen, fast blonden Brauen sahen ihr zwei ebenso helle, wasserklare Augen entgegen.
«Heute will alle Welt ein Zimmer!», murrte die Terèso. «Gut, ein Zimmer habe ich noch, aber es liegt zur Straße ‘raus, ich sag’s Euch gleich!»
«Oh, das macht nichts, ich bin nicht lärmempfindlich.» Der Fremde schenkte ihr ein Lächeln, das schneeweiße Zähne entblößte.
«In Ordnung – Kleine, mach das Zimmer fertig. Wollt Ihr etwas essen, Mèstre?»
«Oh, etwas Brot und Käse vielleicht… und etwas Wein…»
«Ich bringe Euch etwas. Setzt Euch.»
Der Fremde schritt durch den Schankraum, blieb schließlich vor dem Tisch stehen, an dem der Franzose mit den dichten Locken gerade die letzten Bissen seines Brotes hinunterschluckte und sagte:
«Bei Euch ist gewiss noch ein Platz frei, Monsieur?»
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Er hatte französisch gesprochen, und der andere sah auf. Einen Moment lang sah er den Neuankömmling stumm an, dann sagte er: «Bitte sehr», und wandte sich wieder seinem Brot zu. Er machte nicht den Eindruck, als ob er auf eine Unterhaltung wert legte, dennoch fuhr der Neuankömmling fort: «Ihr seid gewiss aus Paris, Monsieur? Euer Auftreten… die Gewandtheit der Bewegungen…
das kann nur ein echter Hauptstädter sein!» Er strahlte. Die Panschers-Terèso stellte ihm einen Teller mit zwei Scheiben Brot und einem Stück Käse hin. «Wein kommt gleich», sagte sie. Der Franzose hob den Kopf. «Orléans», sagte er.
«Orléans!» Der andere schlug sich mit der Hand gegen den Kopf.
«Der Ort des unsterblichen Siegs von Jeanne d’Arc über die Engländer! Dass ich es nicht geahnt habe!»
«Und wo seid Ihr her?», fragte der Franzose spöttisch. «Lasst mich raten – Böhmen? Schweden? –, Ihr habt diesen eigentümlichen Akzent…»
Der andere machte ein süßsaures Gesicht und wandte sich seiner Mahlzeit zu. «Was führt Euch hier her, in den sonnigen Süden?», fragte er.
«Oh, Geschäfte…», meinte der Franzose gedehnt.
«Kaufmann?»
«Ja, kaufen und verkaufen tue ich bisweilen auch. Und Ihr, Monsieur?»
«Oh, ein trauriger Anlass!», seufzte der Hellhaarige. «Ein guter alter Freund ist ganz plötzlich aus dem Leben geschieden. Ich eile, ihm die letzte Ehre zu erweisen und seine Angelegenheiten zu regeln.»
«Nein, wie traurig. War er auch Schwede?»
Die Panschers-Terèso stellte einen Krug mit Wein und einen Becher auf den Tisch. «Habt Ihr noch einen Wunsch, Monsieur?», fragte sie den Franzosen strahlend. «Danke, nein», sagte dieser, und sie zog sich zurück.
«Woran ist er denn gestorben, Euer Freund?», fragte der Franzose mitfühlend.
«Zwanzig-Zoll-Klinge, zweischneidig, zwischen Rippe drei und vier», antwortete der Hellhaarige prompt.
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«Wie unästhetisch.» Der Franzose schüttelte den Kopf. «Und, wem verdankt die Welt diese
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