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Die Kinder des Saturn

Die Kinder des Saturn

Titel: Die Kinder des Saturn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stross Charles
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entdeckt hätte, den man mit viel gutem Willen als attraktiv und amüsant bezeichnen könnte).
    Derweil überzieht die Strahlung, die der Reaktor emittiert, alles ringsum mit weißen Graffiti-Streifen, und die Verzerrung der zeitlichen Wahrnehmung setzt ein. In diesem Zustand kommt
mir mancher Tag wie eine einzige Stunde vor, aber es ist eine Stunde, in der ich nur auf dem Bett herumliege und mich langweile. Außerdem nervt mich das allgegenwärtige hohe Hintergrundrauschen – das weiße Rauschen. (Und man erzähle mir bloß nichts von Ohrstöpseln!)
    Soweit ich weiß, sind unsere Schöpfer früher, in der Epoche vor der Raumfahrt, ständig so gereist: Sie nannten die Tortur Economy Class .
    Als ich den Betriebsmodus das erste Mal herunterfahre, lasse ich den Tampon und die Gesichtsmaske weg und versuche, nur mit dem Augenschutz auszukommen. Ich schaffe es, zwei Stunden wach zu bleiben, ehe ich in den Tiefschlaf eintauche. Doch als ich aus dem ersten Nickerchen erwache, muss ich auf Echtzeit beschleunigen, damit ich den Schlamassel ringsum aufwischen kann. Offenbar sickern die Gleitmittel im langsamen Modus überaus schnell aus mir heraus; zähflüssiger Schmierglibber verwandelt sich in eine scheußliche wässrige Flüssigkeit, die überallhin spritzt. Und je weniger ich über den Speichel sage, desto besser. Ich bin fast schon so weit, mir zu wünschen, Lindy wäre hier und würde sich in ihrer munteren, sachlichen Art daran machen, mich innerlich und äußerlich abzudichten. Ich schaffe es nur noch, mir Wiederholungen von Seifenopern anzuschauen, mich mit anspruchslosen Abenteuerspielen zu beschäftigen, mit offenen Augen von Petruchio zu träumen und zugleich in meiner Wut auf ihn zu schwelgen. Danach ist es gleich wieder Zeit, die Tagträumereien aufzugeben, um das Bettzeug zu wechseln.
    Habe ich die Tiefschlaf-Träume schon erwähnt? Ich träume sehr viel. Die meisten Träume haben damit zu tun, dass ich mir bestimmte Fähigkeiten Juliettes aneigne. Ich träume von Gesten und Reflexen, versuche, in jedem tiefen Kurzschlaf unzählige bedrohliche Situationen zu bewältigen. Immer wieder stoße ich auf Fetzen von Juliettes Erinnerungen, aber sie flackern nur so kurz auf, als hätte ich eine Hand an der Vorspultaste, was in gewisser Hinsicht ja auch zutrifft. Schließlich trage ich den Seelenchip mit all ihren älteren und neueren Erinnerungen die ganze Zeit in mir.
Meine subjektive Wahrnehmung der fortschreitenden Zeit hat sich zwar verändert, aber das heißt ja nicht, dass sie tatsächlich langsamer verläuft. Ständig kommt es mir so vor, als säße mir dieses Miststück im Nacken. Juliette ist mir so nah, dass ich manchmal, wenn ich aus dem Tiefschlaf aufwache, zusammenfahre und mich so hastig nach ihr umsehe, dass ich mir fast den Hals verrenke. Und wie sehr sie diesen Pete begehrt! Auch das nervt mich, obwohl ich mir geschworen habe, mich nicht mehr von Liebeskummer unterkriegen zu lassen, stimmt’s? Wie albern von mir!
    Die Zeit zu verlangsamen ist eine Scheißübung . In der Aristo-Klasse ins äußere Sonnensystem zu reisen ist scheiße . Atombetriebene Raumschiffe sind scheiße . Untreue Drecksäcke, die in meine ältere Schwester verliebt sind, sind scheiße .
    Vermutlich könnt ihr jetzt die wahren Abgründe meiner Gefühle einschätzen, als ich zwei Wochen subjektiver Zeitrechnung auf einer steinharten Matratze in einem eiskalten Raum in einer Schlafkoje von Sarggröße verbringe, mir jeder einzelne Knochen im Leib wehtut und mir Flüssigkeiten aus jeder Körperöffnung sickern – bis Indy mich schließlich anpiepst, um mir mitzuteilen, dass wir uns im Anflug auf Kallisto befinden.
    »Hurra!«
    »Freuen Sie sich nicht zu früh«, warnt er mich. »In Echtzeit brauchen wir noch sieben Tage, aber Sie können’s auch acht Stunden nennen.« (Muss ich es wiederholen? Raumflüge sind scheiße!)
    Wie es der Zufall will, drehe ich ganz am Schluss noch durch: Ich beschleunige wieder auf Echtzeit, schäle mich aus den besudelten Klamotten, befreie mich von den widerwärtigen Tampons und Stöpseln und flitze nackt durch den Großen Salon. Alle anderen befinden sich noch im langsamen Modus, und solange ich nicht herumtrödele, werden sie mich lediglich als eine blasse, verschwommene Silhouette wahrnehmen. Plötzlich entdecke ich am anderen Ende des Salons einen Duschkopf. Unsere persönliche Waschwasserration ist lächerlich dürftig gewesen. Zum ersten Mal seit – ein schneller Blick auf meine Echtzeit-Uhr

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