Die Kinder des Saturn
Tiefen des Raums.
»Zwanzig g . Antrieb stabil, bei dreißig Prozent. Alles sieht gut aus … Antrieb fährt auf neunzig Prozent hoch.«
Ich merke nicht viel davon, registriere nur ein dumpfes Rumpeln und Vibrieren und eine riesige Woge, die uns davonträgt. Würden meine Augen noch funktionieren, wäre der Druck der Augäpfel jetzt so stark, dass ich nichts mehr erkennen könnte, wie ich weiß. Und hätte Ikarus mich nicht wie eine Gans gestopft – warum stopft man Gänse überhaupt? -, wäre ich jetzt als Pfütze über das ganze hintere Schott verteilt. Aber er hat gute Arbeit geleistet. Eine halbe Million Real, nur für eine Reise zu Eris, die nicht einmal zehn Jahre dauert, denke ich und unterdrücke ein ängstliches Kichern. Fünfhundert Gigawatt einer kritischen, Kettenreaktionen auslösenden Masse brennen in diesem Moment ein Loch in den Raum in meinem Rücken, mehrere Kilogramm einer waffentauglichen Uranlösung werden ins Plasma hinausgeblasen – das Äquivalent einer Explosion von Megatonnen, die sich alle zweieinhalb Stunden wiederholt -, und all das nur, weil sich Granita eine tödliche Probe archaischer Replikationstechnologie unter den Nagel reißen will. Eine Probe, die das halbe Sonnensystem unterjochen könnte. Wieso konnten sie die Auktion nicht einfach über Netz abwickeln?, frage ich mich und denke über die Kosten nach, die ein persönliches Erscheinen am Ort der Versteigerung verursacht. Nun ja, ich nehme an, es dient dazu, die Exklusivität ihres Clubs zu wahren.
Nach etwa zwei Minuten legt sich das Vibrieren; die Lichtspur, die sich quer durch die Sternenlandschaft zog, verblasst nach und nach und löst sich wie Nebel auf. Bald darauf trübt sich mein Blickfeld erneut ein und zeigt anschließend eine Ansicht aus der
Backbordperspektive der Ikarus . So riesig wie eh und je wölbt sich Jupiter über uns, doch Kallistos Horizont hat sich inzwischen gekrümmt und schrumpft in der folgenden halben Stunde sichtlich zusammen, bis nur noch eine große Scheibe zu erkennen ist. Ich langweile mich, fühle mich äußerst unwohl und würde mich gern im Schiff umherbewegen. Irgendwann probiere ich die Elektrosprache aus und frage: »Was passiert jetzt?«
»In wenigen Minuten melde ich mich bei Ihnen.« Ikarus lässt sich nicht hetzen. Als er sich mir nach einer Weile, die mir wie eine Ewigkeit vorkommt, zuwendet, spanne ich mich erwartungsvoll an. »Madame Sorico? Tut mir leid, dass ich Sie allein lassen musste, aber nach der Raketenzündung war noch einiges zu überprüfen. Die gute Nachricht ist, dass wir uns jetzt auf der Spur zum Verlassen der Umlaufbahn befinden. In rund vier Stunden werden wir nahe an Jupiter vorbeifliegen und nochmals eine Rakete zünden. Danach fallen wir direkt ins innere System zurück.«
»Ins innere System?« Ich höre selbst, wie schrill meine Stimme klingt. »Ich dachte, wir fliegen zu Eris!«
»Das tun wir ja auch. Hören Sie mir doch bitte einen Augenblick zu.« Arroganter Sack! (Das geht nicht über die Sprachvorrichtung.) »Wissen Sie überhaupt, wie weit Eris entfernt ist? Derzeit ist Eris zweimal so weit entfernt wie Pluto. Mein Hauptabtrieb ist zwar leistungsstark, aber ich muss Treibstoff für das Bremsmanöver am anderen Ende sparen. Wenn ich die Rakete zünden und unmittelbar danach abbremsen würde, brauchten wir etwa achtzehn Jahre zum Reiseziel. Aber es gibt eine Abkürzung. Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass ich mit einem Magnetsegel ausgestattet bin? Wir führen eine kurze Zündung durch und fliegen dann nahe an Jupiter heran, um die Geschwindigkeit, die wir in der Umlaufbahn der Sonne haben, zu neutralisieren. Sobald wir die Umlaufbahn verlassen, fallen wir; genauer gesagt, stürzen wir den ganzen Weg in die Gravitationssenke der Sonne hinunter, bis wir uns schließlich in der Umlaufbahn Merkurs befinden. Dann setzen wir das Magnetsegel und beschleunigen auf die Reisegeschwindigkeit
zu Eris. Und bei unserer Annäherung an Eris verfügen wir immer noch über achtzig Prozent unseres Treibstoffs – genügend für das Bremsmanöver.«
»Aber ist das denn nicht die falsche Richtung?«
»Keineswegs.« Jetzt klingt er wirklich selbstgefällig. »Jupiter und Eris stehen derzeit fast in Opposition, und die Sonne ist direkt dazwischen. Deshalb nehmen wir im Endeffekt den kürzesten Weg zwischen den beiden Welten.«
»Toll.« Plötzlich fällt mir etwas ein. »Und wie lange wird all das dauern?«
»Oh, nicht lange. Wir brauchen rund achtzehn Monate bis zu
Weitere Kostenlose Bücher