Die Kinder des Saturn
Merkurs Umlaufbahn, danach ein Jahr, um mit Hilfe des Magnetsegels auf Reisegeschwindigkeit zu beschleunigen, und weitere anderthalb Jahre für den Freiflug bis zu unserer Ankunft. Insgesamt knapp vier Jahre.« Sein Ton verändert sich. »Sie können auf langsamen Modus umschalten, wenn Sie wollen – ich würde Ihnen eine Verlangsamung im Verhältnis von mindestens fünfzig zu eins vorschlagen und an Ihrer Stelle vielleicht sogar bis zum Verhältnis zweihundert zu eins herunterfahren. Ich kann Sie aber auch in den Kälteschlaf versetzen, wenn Sie mir Zugang zu einer Ihrer Buchsen geben. Dann kann ich ein direktes Interface herstellen.«
Ich gerate fast in Panik und zittere. »Nein!« Sie hat mir das verboten, sonst wäre ich auf das Angebot sofort eingegangen. Aber ich darf ihn nicht so nah an meine Seelenchips heranlassen. »Tut mir leid, aber ich … habe eine Kälteschlaf-Phobie.«
»Wie merkwürdig.« Er klingt so, als glaube er mir nicht. »Nach dem, was meine Sensoren zur Sondierung der Fluggastkondition melden, fühlen Sie sich derzeit doch gar nicht wohl. Wie wär’s, wenn Sie Ihren Betriebsmodus wenigstens ein kleines bisschen herunterfahren? Ich könnte Ihnen eine Innenmassage geben, wenn Sie möchten …«
»Auch das will ich nicht«, bringe ich mühsam hervor. Es ist schon schlimm genug, ihn in mir zu haben, ohne dass … Verdammt! Ich schaffe es, mit dem Becken-Bausatz einige Zentimeter
hin und her zu rutschen, finde jedoch keine bequeme Lage. Ich bin so ausgetrocknet und angespannt, dass es schon wehtut, und Ikarus’ Anhängsel, die mich normalerweise in lustvolles Stöhnen versetzt hätten, empfinde ich lediglich als unsensible schmerzhafte Eindringlinge, die hier völlig fehl am Platz sind. Hätte Granita mir nicht diese blöde Zurückhaltung auferlegt, ginge es mir gut, aber … Es führt offenbar kein Weg an diesen Anweisungen vorbei. Scheiße. Ich weiß ja, dass ich Granita eigentlich lieben müsste, doch im Moment würde ich ihr am liebsten den Hals umdrehen.
»Kann ich sonst noch etwas für Sie tun, gnädige Frau?«, erkundigt sich Ikarus höflich. »Sind Sie sicher, dass Sie keine Massage wollen?«
»Ja«, höre ich mich sagen. »Lassen Sie mich bitte eine Weile allein.«
»Wie Sie wünschen.« Und schon ist er weg. Aus einem Reflex heraus verändere ich erneut meine Lage, aber das bringt nichts. Schließlich setzt ein anderer, tieferer Reflex ein, und mein Blickfeld beginnt sich einzutrüben.
Vier Jahre in der Hölle!, schluchze ich hilflos, gefangen in einer Falle und gebunden durch einen unüberlegten Befehl. Bald darauf lasse ich mich in den langsamen Modus und in den Tiefschlaf gleiten.
Selbstverständlich bestehen Raumreisen nicht nur darin, dass man in einer Platzangst erzeugenden Zelle landet, vor Angst halb durchdreht, mit Haltegurten gefesselt und durch jede Körperöffnung vergewaltigt wird, und das jahrelang. Wisst ihr, wenn es wirklich so wäre, würden vor jedem Reisebüro Warteschlangen stehen. Nein, Raumreisen sind irgendwie auch unfreiwillige Zeitreisen: Beim Start weiß man noch, wer und was man ist, doch bei der Ankunft haben einen alle Freunde vergessen, die Verwandten sind gealtert (manchmal auch gestorben), und das Universum sieht anders aus. Der langsame Modus trägt zwar dazu bei, den
langweiligen Transit zu ertragen, hilft aber nicht gegen die soziale Entwurzelung, die sich nach dem Flug bemerkbar macht.
So schnell wie möglich schalte ich auf den langsamen Modus um. Das Licht in meiner Zelle nimmt einen grellen Blauton an, und das Druck und Stöße abfangende Gel kommt mir plötzlich eiskalt und dünn vor. Flüssige rosarote Teilchen sickern aus mir heraus und verdünnen das Gel, allerdings so langsam, dass meine Knochenmark-Technologie schnell genug neue produzieren kann, um den Verlust zu ersetzen. Im Stundenrhythmus (subjektiver Zeitrechnung) muss ich in den Tiefschlaf eintauchen und habe dabei höchst erstaunliche, fantastische Träume. Nie bin ich dabei allein in meiner Zelle. Immer ist eine andere Person bei mir. Manchmal ist es Juliette, die mir vorhält, dass mich die eigene Dummheit in diese Zwangslage gebracht hat. Doch hin und wieder ist auch Granita da, wie ich schwören könnte, und das Gefühl, dass sie bei mir ist, tröstet mich (auch wenn ich nur wegen ihr in dieser Klemme stecke). Wenn ich sie in meiner Nähe habe, fühle ich mich nicht so zwangspenetriert, sondern fast wohl. Mehr als wohl. »Du musst noch viel lernen, Mädchen«, sagt sie
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