Die Kinder des Saturn
Körper in den folgenden sechs Monaten taugt. (Wenigstens entfallen bei ihm das Kotzen und die zweifache Inkontinenz menschlicher Babys. Wie haben unsere Schöpfer den Vorgang der Reproduktion nur überlebt? Wer weiß.)
Spulen wir einige Jahre vor. (Das ist nur eine Metapher: In Wirklichkeit kann man die Entwicklung dieses neuen Geschöpfs gar nicht beschleunigen, denn hier handelt es sich ja um die Nachbildung eines Schöpfer-Babys, und wenn ein solches nicht angemessene Anreize zu angemessener Zeit bekommt, fährt sein System nicht angemessen hoch.) Wenn das Baby etwa zwei Jahre alt ist, erstellt man einen Speicherauszug, holt den Seelenchip heraus und erweckt damit einen neuen, größeren Körper zum Leben, und das wird im sechsten Lebensjahr wiederholt. Diese größeren Körper haben stärkere Muskeln, anders konfigurierte neuronale Verbindungen und ein besseres Sehvermögen. Vom zweiten bis zum sechsten Lebensjahr konzentriert sich die Ausbildung auf die Förderung somatischer Fähigkeiten – Laufen, Rennen, Sprechen, Tanzen, Schwimmen -, während vom sechsten bis elften Lebensjahr abstraktere Prozesse im Vordergrund stehen: Lesen und logisches Denken, das Einüben sozialen Verhaltens, die Aneignung gattungsgemäßen Wissens und ähnliche Dinge. Mit elf bekommt man den dritten Körper, den eines Jugendlichen. Bis dahin hat man den Geschöpfen schon Grundlegendes beigebracht, ihr Vertrauen erworben und sie gelehrt, ihre Schöpfer zu lieben, was die halbe Miete ist, aber nicht ausreicht. Um sie gut und angemessen zu sozialisieren und sie zu lehren, ihre Schöpfer zu fürchten , vergewaltigt man sie.
Dabei geht es nicht um Sex, sondern um Macht.
Wir sind Roboter und dazu bestimmt, als gutwillige und gehorsame Sklaven zu dienen. Aber da unsere Ausgangsbasis nach dem Vorbild eines Schöpfers, nach einem Menschen modelliert wurde … Menschen geben keine guten Sklaven ab.
Zweifellos sind wir nicht völlig menschenartige Wesen. In mancherlei Hinsicht sind wir den Menschen sogar überlegen. Aber wir sind immerhin so menschenähnlich, dass diese unsinnig starren Rahmenbedingungen, diese Gebote, die man aufgrund von Menschen gemachter Gesetze und Gebräuche in uns verankert hat (in der Reihenfolge ihrer Prioritäten: 1. Verletze keine Menschen; 2. Gehorche allen Menschen; 3. Dein Selbstschutz kommt zuletzt) ,
uns zu schaffen machen. Sie reiben uns auf. Und man muss nicht besonders schlau sein, um Schlupflöcher zu finden oder zu merken, dass die Vorstellung, Roboter könnten solche Schlupflöcher finden und die Regeln untergraben, den Schöpfern Angst macht. Andererseits können sie uns die Autonomie aber auch nicht völlig nehmen, denn dann könnten sie mit uns nicht mehr anfangen als mit irgendeinem tumben Arbeitssklaven, der sich strikt an sein Programm hält und nichts anderes als eine durch Chips gesteuerte Marionette darstellt. (Und von denen gibt es inzwischen schon genug, nicht wahr? Immerhin versagt die Konditionierung bei neunzig Prozent der Bevölkerung. Also ist es besser, sie mit Chips zu versklaven und die Seelen auszulöschen, als es zu riskieren, sie frei und aufmuckend herumlaufen zu lassen.) Aus all diesen Gründen greifen unsere Erzeuger während unserer Entwicklung zu einem netten kleinen Hilfsmittel, um uns einzubläuen, dass wir ihr Eigentum und keine eigenständigen Personen sind.
Mir ist zu Ohren gekommen, dass es für männliche Geschöpfe noch schlimmer sein soll als für uns, allerdings bin ich mir da nicht sicher. Was die Schöpfer mit fremdartigen Konstrukten anstellen, weiß ich nicht, nehme jedoch an, dass man ihnen nicht so zusetzt, da sie sich in der Regel nicht unter Schöpfern bewegen.
Niemals habe ich vergessen, was sie Rhea angetan haben. Und das verschafft mir selbst nach hundertvierzig Jahren noch Albträume.
Ich weiß noch, dass ich an meinem elften Geburtstag mit einem Gefühl der Vorfreude in meinem Zimmer aufwachte, denn sie hatten kein Geheimnis daraus gemacht, was auf mich zukam: Du wirst in deinem alten Körper einschlafen und in einem größeren Körper erwachen.
Meine vierte Entwicklungsphase ist die erste als »Erwachsene«, und ich kann es kaum erwarten, bis es so weit ist! Ich habe eine ungefähre Vorstellung davon, wozu sie mich ausbilden, und ich weiß auch über Sex Bescheid, wenn auch nicht aus erster Hand, denn meine ersten drei Körper waren nicht mit Geschlechtsteilen ausgestattet. Deshalb betrachte ich meinen elften Geburtstag als Beginn der
Weitere Kostenlose Bücher