Die Kinder des Saturn
abschreckendes Beispiel. Deshalb wiederholen wir sie Jahr für Jahr auf unseren Partys oder Besäufnissen, wenn ein wohliger Angstschauer für Stimmung sorgen soll. Nach drei Jahren auf dem Marsboden ging das Raumfahrzeug kaputt, das die Besatzung zurück in die Umlaufbahn bringen sollte. Der Tank mit dem Oxidationsmittel platzte, als die Forscher ihn unter Druck setzen wollten. Also kauerten sie sich mit ihren restlichen Lebensmittelvorräten hin und warteten auf das Rettungsteam, das sie bergen würde. Doch innerhalb des Zeitfensters, in dem das Rettungsschiff startete, kam es zu einer gewaltigen Sonneneruption, die das Schiff zerstörte und dessen Besatzung in den Raum hinaus zwang. Auf den Partys erzählen wir einander von den edelmütigen, heroischen Selbstmorden der auf dem Mars Zurückgebliebenen: Um die Vorräte zu strecken, wurde durch Los entschieden, wer sich töten sollte. Und wir reden auch über die Morde, den Wahnsinn, die Resignation und die Verzweiflung der Gestrandeten, als der Punkt erreicht war, an dem keine Aussicht mehr auf Rückkehr bestand. Uns läuft ein Schauer über den Rücken, wenn wir an die Ankunft der vierten Expedition drei Jahre
danach denken – ein halbes Jahr, nachdem alle Lebensmittelvorräte aufgebraucht waren – und an das, was sie dort vorfanden: Unter dem leeren Himmel stand die Kommandantin immer noch in ihrem Schutzanzug da, lehnte an einem Felsen, um das Bergungsteam willkommen zu heißen. Doch das Visier ihres Schutzhelms hatte sie aufgeklappt.
Unsere Schöpfer waren zweifellos wahnsinnig. Es konnte unmöglich gut ausgehen, eingedoste Primaten zum Mars zu schicken. Aber dieser Wahnsinn entsprang höchst ehrenhaften Motiven: Sie dachten tatsächlich, sie könnten zu den Sternen gelangen. Und die Friedhofswärter spiegeln diese ehrenvolle Haltung auf ihre eigene unnachahmliche Weise wider, denn sie tun ihr Bestes, den ihnen anvertrauten Toten die letzte Ehre zu erweisen.
Ich schleiche mich ins Innere der von Bruchsteinmauern umgebenen Einfriedung und gehe einen Schotterweg entlang. Jeder Kieselstein hier ist so bearbeitet, dass er kaum einen Millimeter von den anderen abweicht, und liebevoll auf dem Weg ausgelegt, der die aus Sandstein gemeißelten Obelisken von der Reihe der Statuen trennt. Die Statuen erinnern an die Helden der indonesischen Inselgruppe, die im Zuge der indischen und chinesischen Feldzüge gefallen sind.
Nur wenige besuchen diesen Friedhof, und er weist auch nur wenige Zerfallserscheinungen seit der Zeit auf, als die Letzten unserer Schöpfer den Staub dieses Planeten von den Stiefeln schüttelten und sich zum Sterben nach Hause begaben. Die folgenden zwei Jahrhunderte verbrachten die Friedhofswärter damit, das Mausoleum zu verschönern und kunstvoll auszugestalten. Nach und nach haben sie das, was früher einmal ein schlichter, geschmackvoller Steingarten war, in eine fremdartige Nekropolis verwandelt. Die Gedenkstätte soll an den Traum einer inzwischen ausgestorbenen Spezies erinnern, die sich die Besiedlung der Planeten zum Ziel gesetzt hatte.
Noch vor hundert Jahren hätten die Wärter jeden angekündigten Besucher herzlich willkommen geheißen, ihn über den Friedhof geführt und ihm erlaubt, hier ganz nach Belieben zu
meditieren oder zu beten. Doch in jüngerer Zeit kam es zu unerwünschten Ruhestörungen, die politische Auseinandersetzungen nach sich zogen. Grabschänder und Genomräuber haben wiederholt versucht, die hier begrabenen Mars-Mumien zu stehlen. Es geht ihnen darum, an unversehrtes Chromosomenmaterial mit kurzen interferierenden oder aktivierenden RNA-Sequenzen oder auch an nicht-denaturierte Enzyme heranzukommen. Die Heldengräber ziehen inzwischen alle möglichen Leute an, die Schlimmsten unserer Art, die nichts als Unfug im Kopf haben. Die Friedhofswärter haben darauf mit radikalen Verteidigungsmaßnahmen reagiert und gehen wie besessen gegen Eindringlinge vor – auf die Art, die uralten, verwirrten und nicht mehr von Gebietern gelenkten Arbeitssklaven eigen ist und sie so gefährlich macht.
Nach fünfzig Metern komme ich an den ersten beiden gepfählten Skeletten vorbei. Sie sind sorgfältig auf verrosteten Eisenspitzen rechts und links des Kieswegs aufgespießt, kurz vor einer Treppe, die zu einer hüfthohen Steinbrüstung und der ersten Grabreihe führt. Die Grabräuber sind kleinwüchsige Chibis mit großen Köpfen, leeren Augenhöhlen und gebrochenen Kiefern, erstarrt in lautlosen Schreien der Wut und Frustration. Die
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