Die Kinder des Saturn
verstorbenen Geschwister. Diese seltsamen zwielichtigen Gelehrten sagen nur wenig und laufen oder schweben noch weniger herum. Die Interaktionen mit der Umwelt beschränken sie darauf, jeden Störenfried, der ihnen zu nahe kommt, aus ihren sonderbaren Fischaugen anzuglotzen.
Darüber hinaus sind alleinreisende, nur von ihren Sklaven begleitete Aristos an Bord – wie die ehrenwerte Lady Katherine Sorico. Folglich besteht genügend Gelegenheit zu Kontakten; aber ich müsste schon vor Langeweile sterben, sollte ich mich dazu entschließen, gesellschaftlichen Verkehr mit solchen Mitreisenden zu pflegen. Reza Agile, die mit den drei Glasaugen, geht dem Gewerbe einer Kopfgeldjägerin nach. Sinbad-15, ein Schürfautomat, hat sein Geld auf den gequälten Rücken seiner Sklaven gemacht. Mary X. Valusia handelt mit Waren zweifelhafter Herkunft. Meiner Meinung nach stellt keiner von ihnen eine Zierde der Gesellschaft dar. In Wirklichkeit sind sie allesamt widerwärtige Ausbeuter. Folglich wird mir wohl nichts anderes übrigbleiben, als die kommenden drei Monate übellaunig und entnervt in selbstgewählter Isolation zu verbringen.
Selbstverständlich tut die Pygmalion ihr Bestes, mir Zerstreuung und Unterhaltung zu bieten (schließlich gehört das zu ihren Aufgaben als Hostess und Flugleiterin), doch ich glaube, sie spürt meine Verdrossenheit. Ich bin nur froh, dass sie mich noch nicht öffentlich darauf angesprochen hat. Doch irgendwann erwischt sie mich auf kaltem Fuß, als ich gerade über einer besonders kniffligen Kartenkonstellation brüte. »Erlauben Sie mir eine Bemerkung, gnädige Frau?«
Einen Moment lang bleibe ich wie erstarrt sitzen und frage mich: Wie würde Lady Katherine Sorico darauf reagieren? Doch gleich darauf entspanne ich mich wieder. »Selbstverständlich«, erwidere ich höflich. (Die ehrenwerte Soundso würde annehmen,
dass das Schiff niemals so dreist wäre, sie wegen irgendeiner Belanglosigkeit beim Kartenspiel zu stören. Also würde sie höflich reagieren, nicht wahr?)
»Ich konnte nicht umhin zu bemerken, dass Sie sehr oft Solitär spielen«, bemerkt die Pygmalion vorsichtig. »Ich möchte ja nicht aufdringlich erscheinen, aber hätten Sie vielleicht auch Interesse an Bridge? Ich versuche nämlich, morgen Abend nach dem Essen eine Bridgerunde zusammenzubringen.« Das Abendessen an Bord ist jedem ins eigene Belieben gestellt. Während die Lyrae-Zwillinge exzentrische Feinschmecker sind – sie verleiben sich Berge exotischer synthetischer Leckereien ein, um sie anschließend auf höchst ekelhafte Weise durch ihre Verdauungsvorrichtungen abzuführen -, versorgen sich die meisten von uns anderen auf eher konventionelle Weise mit Energie und Rohstoffen, vorzugsweise in der Abgeschiedenheit unserer Kabinen. Aber auf Schiffen ist es nun mal Tradition, zum Dinner zu läuten – genauso wie es Tradition ist, alle siebentausendzweihundert Sekunden die Messingglocke anzuschlagen (besser gesagt: die entsprechende Bandaufnahme abzuspielen). Und das »Abendessen« dient als nützlicher Orientierungspunkt für den Beginn des abendlichen Unterhaltungsprogramms.
Im Bruchteil einer Sekunde ziehe ich den WwdeKSt (Was würde die ehrenwerte Kate Sorico tun) zu Rate – den integrativen Persönlichkeitscheck für meine angenommene Identität – und neige höflich den Kopf. (Denn zu den Eigenarten von Lady Katherine zählt die Schwäche für Gesellschaftsspiele, und als Angehörige von Rheas Sippe verfüge ich über die Fähigkeit, mich an solchen Spielen zu beteiligen, Vergnügen daran vorzutäuschen und eine gute Verliererin zu sein.) »Ich werde es mir überlegen«, erwidere ich und schenke der Pygmalion das Gefühl, dass sie einen Sieg davongetragen hat.
Die Aussicht auf ein geselliges Beisammensein mit den anderen Passagieren finde ich zwar keineswegs reizvoll, aber ich will auch nicht abseits stehen, denn das könnte in diesem Fall bedeuten, dass meine Maskerade auffliegt. Mit gerunzelter Stirn mustere
ich die Karten, die mit Magneten an der Ablage vor mir haften: Ich habe das Gefühl, dass dieses Geduldsspiel nicht lösbar ist.
In dieser Nacht tauche ich erstmals in das Labyrinth von Juliettes Erinnerungen ein.
Es ist auch an der Zeit, dass ich ihre Erfahrungen vollständig in meine eigenen integriere. Bereits seit mehr als zehn Tagen trage ich Juliettes Seelenchip in mir, und schon in den ersten Stunden begannen mich Spuren ihrer Erinnerungen zu verfolgen: die immer noch präsente Vertrautheit von
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