Die Kinder des Saturn
Geschöpfe, Unglücksraben und jeden anderen, der käuflich war.
Es dauerte nicht lange, bis die brutale neue Gesellschaftsordnung Gestalt annahm. Soweit ich es abschätzen kann, sind heute nur noch zehn Prozent von uns selbstständig. Die meisten Geschöpfe sind hilflose Werkzeuge der reichen und rücksichtslosen Aristokratensippen, zu stupidem Gehorsam gezwungen, sobald ihre Besitzer ihnen den kleinsten Wink geben. Sie sind deren Launen völlig ausgeliefert. Ich jedoch bin selbstständig. Gehöre nur mir. Habe Persönlichkeit. Das Finanzinstrument, das mich definiert und mir die rechtsgültige Identität verleiht, ist in einem Handelsregister für Kapitalgesellschaften in Rio gemeldet und begleitet mich wie ein Schatten auf Schritt und Tritt. Solange ich in den Firmenkonten erfasst bin und nicht gegen irgendwelche Bestimmungen verstoße, bleibt dieses finanzielle Instrument in Kraft und erfüllt seinen simplen Zweck, der nämlich darin liegt, für meine unabhängige Persönlichkeit den Anschein von Legalität aufrechtzuerhalten.
Doch viele von uns siechen in Gefangenschaft dahin und können sich nicht von den Fesseln befreien, die ihre aristokratischen Eigentümer ihnen angelegt haben. Falls meine Firma jemals zwangsliquidiert wird, bin auch ich – als wichtigster Aktivposten der Firma – von Insolvenz und Zwangsvollstreckung bedroht. Die Gefahr, als Arbeitssklavin versteigert zu werden, ist durchaus real, denn in dieser grausamen Roboter-frisst-Roboter -Welt existiert so etwas wie uneingeschränkte Freiheit nicht. Meine Schwestern
und ich helfen einander. Wenn eine von uns schwere Zeiten durchmacht, halten wir zusammen und versuchen, die Raubtiere preislich so zu überbieten, dass wir die Unglückseligen freikaufen und wieder auf eigene Füße stellen können. Aber das kann man wohl kaum als Gewähr für Freiheit bezeichnen. Aus all diesen Gründen trifft Daks’ Frage den Nagel auf den Kopf. Ja, wem gehöre ich, wenn nicht mir selbst?
»Ich gehöre mir selbst«, sage ich, während wir eine schlecht gepflasterte Straße zwischen Tanklagern und einem großen Trafo entlangrumpeln. »Meiner Firma gehören meine Vermögenswerte, und ich setze ihre Strategien um.«
»Also gut. Und was genau sind das für Vermögenswerte, die deine Firma besitzt?«
»Na ja, ich …« Ich gerate ins Stocken und könnte schwören, dass Daks süffisant grinst. Ja, was ist er denn überhaupt? Ich glaube nicht, dass ich einem solchen Geschöpf wie ihm schon früher begegnet bin, dabei dachte ich, ich sei mit den meisten Bauplänen vertraut.
»Es gibt deinen Körper«, sagt Daks, »und es gibt dich . Deine Erfahrungen. Den Satz neuronaler Gewichtungen und Verknüpfungen, gespeichert in einem Seelenchip, den du schon so lange in dir trägst, dass sie sich darin ausbilden konnten. Diese Erfahrungen kannst du auch an andere Schwestern weitergeben, stimmt’s? Folglich geht es hier um geistiges Eigentum. Und um ein Designunternehmen, das Jahre darauf verwendet hat, eine individuelle Formatvorlage heranzuzüchten, und viel Geld in die Verknüpfungen dieses neuronalen Netzwerks investiert hat – Geld, das darin fest angelegt ist. Hinzu kommt der Wert des Körpers, der dieses Netzwerk beherbergt und betreibt.«
Meine Schulter tut höllisch weh, aber das ist noch gar nichts im Vergleich zu dem eiskalten Gefühl in meinem Innern, das mich bei diesen Worten erfasst. »Worauf willst du eigentlich hinaus?«
»Du erinnerst dich inzwischen doch schon an einige Erfahrungen von Juliette, oder nicht?«
»Ja, aber…«
»Hast du überhaupt eine Vorstellung davon, wie viel die Zusatzausbildung ihrer Serie gekostet hat? Sagen wir mal, im Unterschied zu deiner eigenen?«
»So ein Quatsch!« Ich gehe in Abwehrhaltung und massiere mir mit der rechten Hand den Nacken. »Juliette ist seit mehr als einem Jahr tot. Die Schwesternschaft hat ihren Seelenchip geborgen und ihn mir geschickt, damit ich ihn auf dem Seelenfriedhof der Sippe aufbewahre. Das ist schon mal Punkt eins, den du berücksichtigen musst: Juliette ist tot, und Tote besitzen kein Eigentum. Punkt zwei … Punkt zwei lautet: Falls ich tatsächlich so kompatibel mit Juliette bin, dass ich mir ihren Seelenchip herunterladen kann, gehören wir zum gleichen Modell. Schwestern sind ebenbürtig. Austauschbar, abgesehen von unwichtigen Einzelheiten, die auf der persönlichen Erfahrung beruhen.« Selbst in meinen Ohren klingt das falsch. Doch Daks ist taktvoll genug, mir nicht ins Gesicht zu
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