Die Kinder des Teufels (German Edition)
So lange mindestens, bis sich die Aufregung um den Teufelskometen gelegt hat.»
«Leichter gesagt als getan», antwortete Jakobus. «Die Tore der Stadt werden streng bewacht. Niemand kommt ohne die Zustimmung des Bischofs hinaus oder herein.»
«Da finden wir schon einen Weg», gab sich Volkhardt selbstbewusst.
Kathi ahnte, worauf er hinauswollte. «Du meinst über die Tunnel, so wie beim letzten Mal?»
Volkhardt verneinte. «Der Bischof hat viele zuschütten lassen. Nein, ich habe da eine andere Idee.»
Otto horchte auf. «Und die wäre?»
Doch Volkhardt wollte es noch nicht verraten. «Zuvor muss ich noch ein paar Dinge in die Wege leiten. Aber es wird funktionieren. Ich schwöre es.»
Jakobus war nicht überzeugt. «Selbst wenn ihr es schafft, die Wachen und die Tore zu überwinden, wo wollt ihr hin? Im Land herrscht Krieg, und Winter obendrein.»
Das war allerdings ein treffender Grund, die schützenden Mauern der Stadt nicht zu verlassen. Vor den Toren herrschte Willkür. Marodierenden Soldaten war man schutzlos ausgeliefert, ebenso Heerscharen an Bettlern, Verbrechern und Flüchtlingen, die nichts weiter hatten als das, was sie am Leib trugen. Niemand würde zu Hilfe kommen, wenn Not am Mann war. Allein die eigene Kraft und die Bewaffnung konnten einen vor dem schnellen Tod bewahren. Und selbst wenn man einen Angriff überlebte, war man den Winterstürmen schutzlos ausgeliefert.
«Ihr seid Kinder mit einem schreienden Säugling im Gepäck. Wo wollt ihr rasten, schlafen, essen?»
Volkhardt wollte widersprechen, merkte aber, dass die Einwände berechtigt waren. Ohne einen genauen Plan, wohin die Reise gehen sollte, wie man durch Schnee und Eis vorwärtskam, wo man eine sichere Rast einlegen konnte und wo man am Ende auf Dauer unterkam, war an eine Flucht nicht zu denken.
«Wartet einfach ab, bis sich die Aufregung über den Kometen gelegt hat. Dann wird niemand mehr an ein Teufelskind denken.»
Noch im selben Moment, als er dieses Wort ausgesprochen hatte, drehten sich die Köpfe zu ihm. Kathi glaubte, das Herz würde ihr stehenbleiben. Wie konnte Bruder Jakobus, der ihr seit jener Nacht beistand, sie mit wertvoller Milch und sauberen Tüchern versorgte, auch nur im Ansatz so etwas denken, geschweige denn aussprechen?
«Das wollte ich nicht sagen», berichtigte sich Jakobus, «ich meinte natürlich, dann wird niemand mehr annehmen, dass im Zeichen des Kometen ein derartiges Kind geboren werden könnte.»
Aber auch das wollte nicht so recht überzeugen. Zurück blieben betretene Gesichter.
«Es darf nur nichts mehr passieren», schob er nach. «Noch ein Ereignis dieser Art, und ich weiß nicht, was geschehen wird. Es herrschen Angst und Verzweiflung unter den Bürgern …»
«Autsch!», schrie Barbara plötzlich auf. Sie zog ihren Finger zurück, an dem Michael gesaugt hatte.
Kathi eilte zu ihr hin. «Was ist passiert?»
«Er … er hat mich gebissen.»
«So ein Unsinn. Er hat doch noch keine Zähne.»
Sie nahm das kleine Bündel zu sich, legte es sich an die Brust und tätschelte sanft seinen Rücken. Irgendetwas sagte ihr, dass in diesem Moment alle Augen auf sie gerichtet waren. Sie wagte nicht, sich umzudrehen.
Natürlich biss ein Säugling in diesem Alter noch nicht.
Normalerweise.
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5
Kolk, der Rabe, suchte Unterschlupf im Glockenturm der Pfarrkirche von Stift Haug. Hier, auf dem kleinen Hügel jenseits der Stadtbefestigung, verbarg er sich vor den Schneeböen, die bei Anbruch der Dunkelheit eingesetzt hatten. Er hatte gut gegessen, nicht am Sanderanger, wo eine Vielzahl neuer Scheiterhaufen entzündet worden waren, sondern am Weg zur Stadt hinaus, in Flussnähe. Dort hingen seit ein paar Tagen tote Menschen an Pfählen. Zu ihren Füßen fuhren Karren vorbei, trabten Pferde entlang und stolperten Menschen in die vielen Löcher, die die Fuhrwerke hinterlassen hatten. Niemand schien sich für die toten Leiber zu interessieren, kaum einer wagte den Blick hinauf.
Kolk konnte das nur recht sein. So blieb er ungestört.
Jetzt aber behagte ihm die nächtliche, undurchdringliche Wand aus Schneeflocken überhaupt nicht. Er wollte jenseits der Stadtmauern kommen, zu seinem angestammten Nachtplatz in den Türmen von Neumünster. Dort fühlte er sich vor Angriffen sicher, dort war er zu Hause. Er blickte sich um. Viel war nicht zu sehen außer einem Hof, Gebäuden und zwei weiteren Türmen, alles umgeben von einer lächerlich niedrigen Mauer und Buschwerk. Einsam war es
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