Die Kinder des Teufels (German Edition)
war der Zug der Verdammten ein Volksschauspiel mit Jahrmarkt, Gauklern und Händlern. Jetzt war die Stadt ausgeblutet, arm an Leben und Hoffnung. Niemand wollte mehr eine Hexe brennen sehen – außer es handelte sich um den Mietsherrn, den gehässigen Nachbarn oder den Geldverleiher.
Kathi schlang schützend die Arme um Michael und ging ihres Weges. Sie haderte mit sich, ob es wirklich ein guter Gedanke gewesen war, bei Wind und Kälte vor die Tür zu gehen. Zu Hause in der Apotheke war es wohlig warm und sicher. Aber sie wollte nicht länger auf ein Lebenszeichen von Jakobus warten. Irgendetwas war vorgefallen, da er nicht mehr zu ihr kam. Sie musste herausfinden, was es war, vorher hatte sie keine ruhige Minute.
Das Franziskanerkloster tauchte vor ihr auf. Eine Schneewehe hüllte ein paar Kinder ein, die vor der Pforte auf Essen warteten. An einer anderen, windgeschützten Stelle saß ein Junge auf dem Boden. Er durchstöberte den Schnee. Im Vorbeigehen erkannte sie eine Jesusfigur in seinen Händen. Die ausgebreiteten Arme des Messias benutzte er als Pickel.
Es war ein unwirkliches Bild. Es erinnerte Kathi an die Schulstunden bei Vikar Ludwig. Er hatte ihnen beigebracht, dass das Kreuz mit der Jesusfigur heilig war und anbetungswürdig, der Weg des Kreuzes erstrebenswert. Und nun diente eine geschundene und vom Kreuz erlöste Jesusfigur zu nichts anderem, als im Dreck nach Essen zu scharren. Ludwig würde vor Empörung die Luft wegbleiben.
Sie klopfte zweimal an die Pforte. Es dauerte, bis die Klappe geöffnet wurde. Eine Kapuze schaute heraus, darunter die rote Nase eines frierenden Gesichts.
«Was willst du?»
«Ich möchte Bruder Jakobus sprechen.»
«Jakobus?» Die Stimme klang überrascht und traurig. «Jakobus ist nicht mehr unter uns, mein Kind. Geh nach Hause und bete für seine arme, verlorene Seele.» Die Klappe schloss sich.
«So wartet doch.» Sie klopfte. Die Klappe öffnete sich wieder. «Was ist mit ihm geschehen?»
«Das weiß allein der Herr, unser Schöpfer. Und nun …»
«Lasst mich doch zu ihm. Er wird mich bestimmt sehen wollen.»
Er seufzte. «Jakobus ist nicht mehr hier.»
«Wo ist er dann?»
«Auf der Burg, falls er noch lebt.»
«Auf der … Was ist mit ihm geschehen?»
«Glaub mir, mein Kind, es ist besser, wenn du nichts davon erfährst. Halte dich fern von ihm. Der Teufel ist unter uns.»
Die Klappe schloss sich, nun endgültig.
Was sollte das bedeuten: Der Teufel ist unter uns? Und was hatte das mit Jakobus zu tun?
Verwirrt wandte sie sich ab. Der Junge mit der Jesusfigur blickte zu ihr auf, die anderen kamen herbei und umkreisten sie.
«Hast du zu essen bekommen?»
Kathi verneinte.
«Aber du hast doch mit ihm gesprochen.»
«Ich habe nur jemanden gesucht.»
«Einen Mönch?» Die anderen lachten, sie nickte.
«Dummes Ding.»
Kathi ging weiter. Schneebälle schlugen neben ihr auf, einer traf sie am Rücken. Sie senkte den Kopf, nahm Michael enger an sich heran, ging schneller. Die Späße der Kinder störten sie nicht.
Aber was war mit Jakobus geschehen? Was machte er auf der Burg des Bischofs, und was meinte der Mönch mit falls er noch lebt ?
Finstere Gedanken überkamen sie. Konnte es sein, dass Jakobus der rätselhaften Seuche zum Opfer gefallen war? Hatte er im Wahn ihr Versteck preisgegeben, gar von dem Mal auf Michaels Bein erzählt?
Dann waren sie in der Apotheke nicht länger sicher. Jakobus wusste um ihr Versteck. Sie eilte geradewegs … ja, wohin? In die Apotheke zurück, war nach der neuen Information keine gute Idee. In ihre alte Dachkammer? Wahrscheinlich wohnten neue Mieter darin.
Während Kathi fieberhaft nach Auswegen suchte, bemerkte sie nicht, wie sich in der Gasse vor ihr ein Drama ganz anderer Art abspielte.
Schluchzende Mütter flehten die Stadtknechte an, ihnen ihr Kind zurückzugeben. Väter gingen mit Dreschflegeln und Prügeln auf die Kinderräuber los. Es setzte auf beiden Seiten Hiebe und Schläge, manch einer ging blutend zu Boden.
Aus einer Tür kam ein Mönch in schwarz-weißer Kutte. Er war hager und groß, das Gesicht schmal mit einem Spitzbart. Er befahl den Knechten, sich zu beeilen, damit nicht noch mehr Unheil geschehe.
«Bringt die Kinder in die Kanzlei des Bischofs. Antonius wird sich dort um sie kümmern.»
Kathi wollte mit alldem nichts zu tun haben. Sie achtete nicht weiter auf diesen streng dreinblickenden Mann, der kurz zu ihr herüberblickte, das Kind unter ihrem Umhang aber nicht bemerkte und dann zum
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