Die Kinder von Alpha Centauri
haben, so daß Vorsichtsmaßnahmen ergriffen werden
müssen. Später könnte man das immer noch als übereifrige Berichterstattung
abtun. Soll ich Lewis etwas ins Ohr flüstern?«
Wellesley dachte stirnrunzelnd eine Weile darüber nach, nickte aber dann.
»Am besten tun Sie das, ja.«
Sterm schaute und hörte zu und sagte nichts.
6
Howard Kalens saß am Schreibtisch im Arbeitszimmer seines villenähnlichen
Hauses, das zwischen gestutzten Sträuchern und grünen Hecken im Regierungsviertel
lag, und betrachtete die Porzellanflasche in seinen Händen. Koreanisch, aus
dem 13. Jahrhundert, Koryo-Dynastie, ungefähr sechzehn Zentimeter hoch mit
langem Hals, der sich zu einem blaßgrünen Korpus bauchte, zart eingelegt mit Mishima, einem Weidenbaum und symmetrische Blumenmuster zeigend
zwischen Ornamentbändern mit Blattmotiv um Stiel und Sockel. Sein Schreibtisch
war aus massivem Nußbaumholz, ein Beispiel des französischen Neurokoko Anfang
des 19. Jahrhunderts, sein Sessel ein dazupassendes Stück vom selben Künstler.
Zu den Büchern im Regal hinter ihm gehörten Erstausgaben von Henry James,
Scott Fitzgerald und Norman Mailer; der Matisse an der Wand gegenüber war ein
Druck nach dem Original in den Tresoren der »Mayflower II«, die Lithographien daneben
stammten von Rico Lebrun. Während Kalens Augen sich an der feinen Balance und
dem Gegensatz der Farbtönungen erfreuten und seine Finger über die Oberfläche
der Flasche glitten, genoß er das Gefühl eines winzigen Bruchstücks von Zeit
und Raum, der lange zurück und fern lag und doch ins Leben zurückkehrte, um
für diesen kurzen, flüchtigen Augenblick ihm zu gehören.
Der koreanische Künstler, der das Stück gebildet, hatte vermutlich ein
einfaches, klagloses Leben geführt, dachte Kalens, und wäre zufrieden mit dem
Wissen gestorben, aus dem Nichts Schönheit geschaffen und die Welt reicher
gemacht zu haben, weil es ihn gegeben hatte. Würden seine Nachkommen im Asien
achthundert Jahre danach dasselbe sagen oder dieselbe Erfüllung verspüren
können, wenn sie um ihren Anteil an massenerzeugter Verbraucherfülle rangen,
ihren neugefundenen Reichtum und die Arroganz in den Modehäusern und
Auktionssälen von London, Paris und New York vorführten oder sich auf ihren
strahlend bunten Yachten vor australischen Stränden von der Sonne bescheinen
ließen? Kalens bezweifelte es sehr. Was hatte ihre sogenannte Emanzipation
für die Welt dann geleistet, außer ihre Schätze zu
prostituieren, ihre kulturelle Währung zu entwerten und die Werke ihrer
großen Geister in einer Flut banaler Gleichmacherei und geschmackloser
Eintönigkeit zu ertränken? Dieselbe Art zerstörerischen Schmarotzertums durch
seine eigenen Massen, in ihren Geweben vervielfältigt, in Ausdehnung wie eine
Seuche, hatte mehr als ein halbes Jahrhundert früher den Westen in die Knie gezwungen.
In ihrem natürlichen Zustand war eine Gesellschaft wie ein Eisberg, acht
Neuntel untergetaucht in primitiver Unwissenheit, ohne irgendeinen nützlichen
Zweck zu erfüllen, als die würdige Minderheit zu erhöhen und zu tragen, deren
Kelterung und Verkörperung all dessen, was an der Rasse herausragend war,
Privileg als ein Recht und Autorität als eine Pflicht übertrug. Die Kalamität
von 2021 war das Umkippen eines Eisbergs gewesen, der auf irgendeine Weise
kopflastig geworden war, als zu viel von der Stabilisierungsmasse, die an die
Unterseite gehörte, über den Schwerpunkt hatte hinaufklettern wollen. Der
Krieg war der Preis dafür gewesen, Ladenbesitzer als Staatsmänner auftreten zu
lassen, Fabrikvorarbeiter als Industrielle, und diplomschwenkende Bohemiens
als Denker, Grundkenntnisse in der Sprache mit Bildung gleichzusetzen und
simple Tagträume mit dem Beweis für geistigen Wert. Aber während die Lehren
der Neuen Ordnung im Westen die Krankheit heilten, war auf der anderen Seite
der Welt eine neue Epidemie ausgebrochen, als Folge des uneingeschränkten
Wildwuchses asiatischer Wohlhabenheit nach dem Krieg. Die Menschheit als Ganzes
lernte, so schien es, niemals etwas.
»Den Mittelmäßigen wird die Erde gehören«, hatte Kalens zu seiner Frau
Celia gesagt, nachdem er 2005 eines Tages von Gesprächen mit europäischen
Außenministern in ihren Herrensitz in Delaware zurückgekehrt war. »Oder es wird
wieder Krieg geben.« Und so war das Ehepaar Kalens fortgegangen, um den Aufbau
einer neuen Gesellschaft in weiter Ferne zu erleben, angeregt durch die Lehren
der Vergangenheit, ohne von
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