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Die Kinder von Avalon (German Edition)

Die Kinder von Avalon (German Edition)

Titel: Die Kinder von Avalon (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
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passt auf, dass ihr nicht zu weit abdriftet; hier gibt es überall Sandbänke.«
    »Erkennst du irgendwas hier wieder?«, fragte Gunhild leise, an Hagen gewandt.
    Der antwortete, ebenso leise: »Es erinnert mich an die Inseln von Scilly. Aber da gibt es keine so große Insel, nur viele kleine. Doch es heißt, dass sie früher einmal eine einzige Landmasse gebildet haben, bevor die See einen großen Teil davon verschlang.«
    »Viel von dem, was einst Land war, liegt heute unter dem Wasser«, meinte der Alte mit lauter Stimme vom Heck her, als habe er jedes ihrer Worte gehört. »Und vieles von dem, was heute noch steht, wird mit der Zeit vergehen. Habt ihr die versunkenen Stätten nicht gesehen auf unserer Fahrt hierher?«
    Hagen und Gunhild blickten sich an. »Aber ich dachte, das wäre nur ein Traum gewesen«, sagte Gunhild, und Hagen fügte hinzu: »Und was ist mit den Menschen geschehen, die dort gelebt haben?«
    »Sie zogen fort, die einen zum Festland, die anderen in den Westen. Aber jeder von ihnen träumt noch immer von dem versunkenen Land Lyonesse, und ihre Kinder und Kindeskinder werden davon träumen, solange es Menschen gibt …«
    Sie hatten die Mündung des Flusses erreicht. Hagen und Siggi bargen die Segel und bemannten wieder die Ruder. Mit gleichmäßigem Taktschlag ging es den Fluss hinauf, vorbei an sumpfigen Ufern, bestanden mit Schilf. Das Kreischen und Tschilpen der Sumpfvögel mischte sich mit den raueren Schreien der Möwen, die hinter ihnen zurückblieben. Es war warm hier am Fluss. Die Sonne brannte vom Himmel. Dunst stieg aus den Niederungen auf.
    Langsam veränderte sich die Vegetation. Das Marschgras wich Bäumen und Büschen, die in üppiger Vielfalt an den Ufern wucherten. Siggi und Hagen konnten nicht viel davon erkennen, da sie mit dem Rücken zur Fahrtrichtung saßen, aber Gunhild, die vor dem Mast stand, schaute voller Staunen.
    »Stellt euch vor, es gibt Palmen hier! Und Südfrüchte – Orangen und Zitronen. Und Äpfel, jede Menge Apfelbäume. Das ist ein Paradies …«
    »Langsamer!«, kam die Stimme des Alten vom Heck. »Zur Linken muss es einen Zufluss geben. Das ist unser Weg in die Stadt.«
    »Da! Ich sehe sie schon.« Zwischen den Bäumen und dem Gebüsch blitzte es weiß auf. »Da vorn geht es lang. Ruder hart Backbord! Vorsicht, da sind Untiefen!«
    Nach einem Dutzend hektischer Ruderschläge trieben sie aus der Strömung des Flusses in das ruhigere Wasser des Seitenkanals. Die Vegetation wucherte so dicht zu beiden Seiten, dass man kaum etwas erkennen konnte, bis das Schiff aus dem engen Kanal in ein weites, halbrundes Becken hinaustrieb. Dahinter erhob sich die Stadt.
    Sie war aus weißem Marmor erbaut – so zumindest bot sie sich dem ersten Blick des Betrachters dar – und sie schien ganz aus Türmen zu bestehen. Hoch schwangen sich die Gebäude vor dem dunkelgrünen Hintergrund des Berghangs, eingenistet in eine Falte des Gebirges. Bögen und Gänge in luftigen Höhen führten von einem Bauwerk zum anderen und schienen der Schwerkraft zu trotzen. Eine breite Prachtstraße, gesäumt von Bogengängen, führte zu einem Palast, über dessen Kuppeldach sich, einer Krone gleich, schlanke Turmreiter erhoben, je einer für die acht Richtungen des Himmels und der Erde. Und zwischen den Häusern und Palästen grünte und blühte es überall.
    Es gab auch Leben in der Stadt: Hier und da sah man Menschen, die ihrem Tagwerk nachgingen. Hellen Schatten gleich huschten sie von einem Gebäude zum anderen. Aber die große Straße war wie leer gefegt, und am Kai stand niemand, sie in Empfang zu nehmen. Keiner schien die Ankömmlinge überhaupt zu bemerken, oder es wirkte zumindest so, als nehme sie keiner zur Kenntnis.
    Lautlos glitt das Boot über die ruhige Wasserfläche. Es hatte etwas Unheimliches an sich, dass sich in all dieser Pracht so wenig regte. Als der marmorne Kai herankam, sprang Gunhild als Erste an Land und schlang das Seil, das sie mitgeführt hatte, um einen Poller.
    »Schau«, sagte sie, »eine Eidechse.«
    Das Tier lag auf den warmen Marmorplatten und rührte sich nicht. Gunhild stupste es mit dem Fuß an. Es rollte herum. Es war tot.
    »Irgendetwas ist hier faul«, meinte Siggi. Er war hinter ihr an Land gekommen. Hagen schlang ein zweites Seil um einen weiteren Poller, um das Schiff zu vertäuen. Aneirin, der Alte, glitt auf den Kai wie ein Schatten in der Mittagssonne.
    Aus dem Dunkel der Arkaden auf der anderen Seite der Uferpromenade traten zwei Gestalten auf

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