Die Kinder von Avalon (German Edition)
Evnissyen sie geworfen hatte; die eine Hälfte davon war schwarz und die andere weiß. So floh sie in die Wälder von Avalon, und dort lebte sie allein, bis sie zu einer jungen Frau herangewachsen war. Sie aß von den Äpfeln der Bäume und den anderen Früchten des Waldes, und sie war nackt bis auf ihr langes goldenes Haar, das fast bis auf den Boden reichte.
Eines Tages kam sie im Herzen der Wälder an eine Quelle. Viel Wundersames berichtet man über diesen Ort; es heißt, der Quell sei in der Altvorderenzeit durch den Huf eines Einhorns aus dem Boden geschlagen worden. Doch wie viele andere Geschichten, die man darüber erzählt, ist dies nur eine Legende, denn seit Tausenden von Jahren hat keiner mehr ein Einhorn in den Wäldern erblickt.«
Diesmal war es Gunhild, die ein wenig erschrocken aufblickte, und Tränen sprangen ihr plötzlich in die Augen. Doch sie sagte nichts, um die Erzählerin nicht noch einmal zu unterbrechen.
»Ob das Einhorn wirklich zu ihr kam, wer kann es wissen? Keiner hat es gesehen. Aber Gwen wusch sich in der Quelle, und als sie ihr Spiegelbild im Wasser sah, da war ihre Haut rein und unversehrt. Und so erblickte sie Amloth, der Elbenfürst, der zur Jagd in die Wälder geritten war. Er sah sie und rief sie bei ihrem Namen: ›Gwendolyn!‹, Tochter des Meeres. Und sie schaute auf, und ihre Blicke trafen sich. Und nie, so heißt es, habe es eine größere Liebe gegeben als in diesem Augenblick an der Einhornquelle. Das Volk von Avalon machte Gwendolyn zu seiner Königin, und ein Jahr und einen Tag darauf wurde ihre Tochter geboren, Igraine, und sie war das schönste Kind, das je auf Erden gewandelt ist.«
»Was für eine wunderbare Geschichte«, meinte Gunhild und seufzte.
»Sie ist noch nicht zu Ende«, sprach Rhiannon sanft. »Denn dann kam Gorlois. Und er bat um Igraines Hand. Doch Amloth hatte einen Schwur getan, dass seine Tochter keinen Geringeren zum Mann haben sollte als einen zaubermächtigen König. Aber Igraine liebte Gorlois, und sie trug sein Kind unter ihrem Herzen. So fassten sie gemeinsam den Plan, zu fliehen.
In einer sternenlosen Nacht stahlen sie sich zum Hafen und bestiegen eines der Fischerboote, die dort am Kai lagen. Der Fischer hörte ein Geräusch und stand auf, um nach seinem Boot zu sehen. In der Dunkelheit kam es zum Kampf, und Gorlois tötete ihn. Als am nächsten Morgen die Tat offenbar wurde, verfluchte Amloth seine Tochter. ›Eines Tages‹, so sprach er, ›wirst du dich nach Avalon zurücksehnen, aber dann wird kein Weg übers Meer hierher führen.‹
Nach einer Nacht und einem Tag erreichten die beiden die Insel der Mächtigen, und siehe, eine große Menschenmenge lief am Strand zusammen. Denn Gorlois, wie Igraine erfuhr, war kein einfacher Fischer; er war der Herzog von Cornwall selbst. Sie feierten das Hochzeitsfest, und bald darauf wurde ihnen eine Tochter geboren, die Igraine auf den westlichen Inseln empfangen hatte, und sie nannten das Kind Morgause.
Uther Pendragon, der Hochkönig von Britannien, hatte von der Rückkehr des Herzogs gehört und lud ihn ein, an seinen Hof zu kommen, um ihm dort die Ehre zu erweisen. Gorlois hielt ihn eine Zeit lang hin, denn er fürchtete Schlimmes in seinem Herzen. Doch nach der Geburt des Kindes hatte er keinen Grund mehr, die Reise aufzuschieben, und so zog er mit seiner Gemahlin nach Winchester, wo der König Hof hielt.
Sobald Uther Igraine sah, wurde er von einem solch unbändigen Verlangen zu ihr erfüllt und bedrängte sie so sehr, dass der erzürnte Gorlois mit seinem Gefolge wieder aufbrach, ohne ihm den Treueid geleistet zu haben. Pendragon befahl ihn zurück, doch Gorlois weigerte sich, sodass Uther mit einem Heer gegen Cornwall zog. Gorlois brachte Igraine nach Tintagel, dem sichersten Ort in seinem Herzogtum, während er selbst in sein Heerlager zog, um sich dem Hochkönig entgegenzustellen.
Dann, in der Nacht von Beltene, wenn die Kraft der alten Magie am stärksten ist, kam ein Mann nach Tintagel geritten, und alle erkannten in ihm Gorlois, den Herzog von Cornwall. Er ging zu Igraine und schlief mit ihr. Aber am Morgen kamen Boten aus dem Heerlager des Herzogs und sagten, Gorlois sei tot, gefallen durch einen verirrten Pfeil. Da wusste Igraine, dass der Mann in der Nacht kein anderer gewesen war als der Hochkönig in Gorlois’ Gestalt.
Von diesem Tag an saß Igraine nur noch auf den hohen Felsen von Tintagel und starrte hinaus auf die See. Doch das Meer war so rau und die Wellen so wild,
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