Die Kinder von Avalon (German Edition)
helfen?«
»Indem ihr diese Frage stellt.« Die Stimme des Alten dröhnte in dem niedrigen Gewölbe. Die Lider des schlafenden Königs flatterten, dann schlossen sie sich wieder. »Ein wunderbares Ding, das alle Leiden heilt – das ist der Gral! Er ist verloren gegangen, aber ihr könnt ihn wiederfinden. Und ich will mit euch gehen, wie einst mit Arthur …«
Wie auf ein geheimes Zeichen wandten sie sich zu ihm um. Er stand im Eingang der Krypta, ein Schatten vor dem kalten Schimmer des Tages, der von ferne herabdrang. Im Schein der Kerzen, der seine Gestalt und das ledrige Gesicht mit den tiefen Furchen der Dunkelheit entriss, war er nicht mehr als ein alter, müder Mann. Gunhilds Herz flog ihm zu, aber Hagens Stimme war hart wie Stahl.
»Ich weiß, wer du bist«, sagte er. »Du warst es, der Uther zu Igraine brachte. Du hast den kleinen Arthur an dich genommen. Er glaubte, du wärst sein väterlicher Freund, aber du wolltest nur eines: ihn für eine Aufgabe heranziehen, der er letztlich nicht gewachsen war – so wie es die Götter immer mit den Sterblichen tun.«
Der Alte hob die Hände. »Dies ist alles wahr, und ich leugne es nicht. Nur wenn du meine Macht mit denen der Götter gleichsetzt, dann irrst du dich. Die Menschen hielten mich für einen Dämon. Mab Llian, den Sohn der Nonne, nannten sie mich, weil sie sich nicht vorstellen konnten, dass es jemanden geben kann, der keinen Vater hat. Ihr habt gewiss längst geahnt, wer ich bin: Ich bin der, den man als Merlin kennt.«
7.
Der eiserne Kessel
»Und was ist der Gral?«
Sie saßen zusammen im Schatten der Laube, nachdem sie die unterirdische Gruft wieder verlassen hatten. Rhiannon hatte einen Tisch herbeibringen lassen und zu essen und zu trinken: Früchte auf goldenen Tellern und kristallklares Wasser in Pokalen aus Silber. Und auch wenn die Äpfel ein wenig von ihrer Süße verloren hatten und das Wasser schal schmeckte, so waren doch die Reisenden hungrig genug, um kräftig zuzugreifen. Dennoch blieb ein Hauch von Bedauern über das, was ihnen an Wunderbarem entgangen sein mochte.
Merlin legte einen angebissenen Apfel beiseite. »Ich weiß es nicht«, sagte er. »Einige meinen, er sei wie ein Gefäß; die Anhänger des neuen Gottes, den die Römer ins Land brachten, behaupten, es sei der Kelch, aus dem er am Tag vor seinem Tod mit ihnen getrunken habe. Doch der Gral ist älter als das Christentum, älter selbst als die Götter der Kelten; er geht zurück zu den Anfängen des Lebens. Manche meinen auch, er sei ein kostbarer Stein, das Edelste und Wertvollste, was es auf der ganzen Welt gibt. Vielleicht ist er beides oder keines von dem; vielleicht war er immer schon das, wonach man sich im Leben am meisten sehnt.«
»Das klingt nicht sehr konkret«, meinte Hagen. »Wer weiß schon, wonach man sich wirklich sehnt – und wo es zu finden ist.«
»Der Gral ist nicht konkret.« Die Stimme des Alten hatte fast etwas Beschwörendes. »Er ist zugleich eine Idee und ein Ding. Er befindet sich an einem unerreichbaren Ort. Ich weiß es, denn ich war dort.«
»Caer Siddi!«, rief Gunhild aus. Als alle sie anstarrten, wurde sie rot. »Caer Siddi, so heißt er, nicht wahr? Du warst dort, mit Arthur; ich erinnere mich, wie du davon gesungen hast.«
»Es sind nur ein paar Zeilen aus einem Lied«, sagte der Alte, »das man ›Die Beute von Annwn‹ nennt. Man zählt es zu den Liedern Taliessins, doch ich erinnere mich nicht mehr daran, dass ich es schrieb:
Dreimal die Fülle von Prydwen, so zogen wir mit Arthur,
Doch außer Sieben kehrte keiner zurück von Caer Siddi.
Bin ich nicht würdig des Ruhmes, im Lied zu besingen?
In der kreisenden Stadt am Ende der Welt,
Steht dort nicht der Kelch des Herrn von Annwn?
Dreimal die Fülle von Prydwen, so fuhren wir aufs Meer,
Doch außer Sieben kehrte keiner zurück von Caer Siddi.
Ein hell blitzendes Schwert gibt es dort,
Das in die Hand des Helden gelegt wird.
Schwer war es, mit seinem Wächter zu sprechen.
Dreimal die Fülle von Prydwen, so gingen wir hinein,
Doch außer Sieben kehrte keiner zurück von Caer Siddi.
Wo das Zwielicht und die Nacht sich vereinen,
Funkelnd wie Wein war das Blut der Schar,
Funkelnd wie der Stein im kalten Palast.
Dreimal die Fülle von Prydwen, so schlug man uns in Ketten,
Und außer Sieben kehrte keiner zurück von Caer Siddi.
Vollkommen war die Gefangenschaft im Verlies von Annwn,
Bis der herrliche Glanz des Speers aufstrahlte,
Keiner weiß, wie und an welchem Ort es
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