Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Kinder von Avalon (German Edition)

Die Kinder von Avalon (German Edition)

Titel: Die Kinder von Avalon (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
Vom Netzwerk:
dass kein Fischer in den Westen hinausfahren konnte. So ereilte sie der Fluch ihres Vaters.
    Bald wurde es offensichtlich, dass Igraine erneut schwanger war. Neun Monate später gebar sie einen Sohn. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Wiege. Sie deckte ihn zu, damit er nicht fror. Dann ging sie allein hinaus in die dunkle und stürmische Nacht.
    Einige sagen, sie habe auf dem Weg die eisigen Klippen hinauf einen Fehltritt getan. Andere meinen, der Wind habe sie fortgerissen. Doch die, die sie kannten, glauben, dass sie einfach nicht mehr leben wollte und sich von den Felsen ins Meer stürzte.«
    Sie schwieg, und alles ringsum schwieg mit ihr.
    »Die arme Frau«, sagte schließlich Gunhild.
    »Und das arme Kind«, fügte Hagen hinzu. »So ganz ohne Mutter aufzuwachsen, das ist schon hart.« Er sprach aus eigener Erfahrung, ging es Gunhild durch den Kopf.
    »Das glückliche Kind!« Alle Köpfe fuhren herum zu dem, der da gesprochen hatte. Der Alte hatte sich von ihnen abgewandt. Seine Stimme klang wie Donnergrollen. »Das gesegnete Kind. Auf dieses Kind wartete das größte Schicksal, das je einem Menschen zuteil wurde.«
    »Und was hast du damit zu schaffen, alter Mann?«, fauchte Siggi. Seine Hand war unwillkürlich zum Schwert gegangen.
    »Alles«, antwortete Rhiannon an seiner statt. »Alles und nichts. Ist es nicht so?«
    Langsam wandte sich der Alte um. Der Blick in seinen Augen war nicht zu deuten.
    »Glaubt ihr denn wirklich«, begann er leise, »dass dieser … dieser so genannte Hochkönig, dieser Emporkömmling aus dem Süden, die Zaubermacht besaß, seine Gestalt zu wandeln? Dass ihm nicht Hilfe von anderer Seite zuteil wurde? Wer war schon Uther! Er ist völlig unwichtig in der Geschichte. Das Einzige, was wichtig war, war das Kind.«
    »Aber wieso?«, fragte Gunhild.
    »Ihr habt eines vergessen. Es gab noch eine offene Rechnung zwischen mir und Arawn: die heiligen Schätze von Erin, die er als Beute in seinen Besitz gebracht hatte. In den Ländern von Prydain fand ich keine Verbündeten mehr, um sie heimzuholen. Im Westen beherrschte Manawyddan das Meer. Darum suchte ich Hilfe bei den Menschen, dem Neuen Volk. Doch dazu brauchte ich einen König, in dem ein Teil der alten Zauberkraft lebendig war. Und so verriet ich die Letzte des Hauses Llŷr, verriet sie um den Preis des Knaben. Denn er sollte mein sein; mein Ziel war es, ihm den Gedanken einzupflanzen, sein Leben lang nur nach einem zu suchen – dem Haus des Grals.«
    »Und ist es dir gelungen?«, fragte Gunhild.
    »Ja – und nein. Denn wie diese Sache ausging, weiß keiner mehr. Dies ist eine jener Heldensagen, die verloren gegangen sind. Ich habe gesucht und gehofft, seit ich wieder erwachte, in jenem steinernen Sarkophag unter den Klippen. Aber nirgendwo fand ich eine Spur. Dann kamt ihr und brachtet drei der Schätze von Erin zurück in diese Welt: das Schwert, den Speer und den Stein. Doch der Kelch, der vierte Schatz, fehlt. Und ohne den Kelch gibt es kein Heil.«
    »Wieso das?«
    Der Alte wandte sich an Rhiannon. »Herrin«, sagte er, »dies ist Euer Teil der Geschichte. Ich weiß, welchen Schatz ihr hier hütet. Aber wenn ich dies alles sehe« – mit einer Handbewegung umfasste er den ganzen Garten, aber auch die Stadt und die Insel darüber hinaus –, »so scheint mir, dass ein Wurm an der Wurzel des Baumes nagt: Die Elben vergehen, der Zauber verblasst. Ich hatte geglaubt, Avalon würde ewig bestehen. Aber wohin ich auch blickte, als ich durch die Straßen der Stadt ging, überall sah ich Verfall. Herrin, gibt es noch Hoffnung?«
    Rhiannon saß da und schwieg. Selbst der Gesang ihrer Vögel schien verstummt. Ein Schweigen lastete auf der Welt, so tief und undurchdringlich, dass keiner wagte, auch nur ein Wort zu sagen.
    »Ich kann es euch nicht sagen«, sprach Rhiannon schließlich. »Aber ich will euch etwas zeigen. Kommt und seht selbst.«
    Sie erhob sich von ihrem Thron. Hagen, Siggi und Gunhild wechselten einen stummen Blick. Dann machte Siggi, die Hand am Schwert, den Anfang. Er stand auf und verbeugte sich: »Geht voran, wir folgen Euch.«
    Zur Linken führte, halb verborgen von Strauchwerk und Ranken, ein hohes, spitzbogiges Portal hinein in den Palast. Rhiannon ging voran. Die anderen folgten ihr: Siggi als Erster, Hagen und Gunhild dicht hinter ihm. Der Alte bildete den Schluss.
    Die Flügel des Tores standen halb offen. Als sie hindurchschritten, öffnete sich vor ihnen eine große, gewölbte Halle. Spiegelnder

Weitere Kostenlose Bücher