Die Kinder Von Eden : Roman
…«
Sanft küßte er ihre Lippen.
Wenn er den Wunsch hat, mich jetzt zu küssen, wo ich wie Frankensteins Braut aussehe, muß er mich wirklich gern haben.
»Hm«, machte sie. »Wenn das alles vorbei ist …«
»Ja.«
Für einen Moment schloß sie die Augen.
Dann dachte sie wieder an Melanie.
»Michael …«»Ja.«
Sie löste sich aus seiner Umarmung. »Melanie macht sich Sorgen, Dusty könnte sich in der Erdbebenzone aufhalten.«
»Er bleibt hier, keine Bange.«
»Aber Melanie hast du das nicht gesagt. Sie hat dich danach gefragt, aber du hast geantwortet, daß sie dir sagen soll, wo sich der seismische Vibrator befindet, wenn sie sich Sorgen um Dusty macht. Du hast ihre Frage nie richtig beantwortet.«
»Na ja, allein der Gedanke, ich könnte mit Dusty in die Erdbebenzone fahren, ist verrückt. Wie kommt sie bloß darauf, ich könnte den Jungen in Gefahr bringen?«
»Ich meine ja auch nur, daß sie vielleicht Zweifel hat, was Dustys Aufenthaltsort angeht … Zweifel, die ihr schwer zu schaffen machen. Und wo immer sie sein mag, es gibt dort einen Fernseher.«
»Manchmal sieht sie sich den ganzen Tag die Nachrichten an. Das ist Entspannung für sie.«
Judy verspürte einen Stich der Eifersucht. Er kennt sie so gut… »Wie war‘s, wenn wir dich von einem Reporter interviewen ließen – in der Kommandozentrale des Krisenstabes in San Francisco? Er könnte dich fragen, wie du dem FBI hilfst, und Dusty wäre … na ja, irgendwo im Hintergrund zu sehen?«
»Dann wüßte Melanie, daß ich in San Francisco bin.«
»Genau. Und was würde sie dann tun?«
»Mich anrufen und mir fürchterlich die Leviten lesen, könnte ich mir vorstellen.«
»Und wenn sie dich nicht erreichen könnte …«
»Hätte sie eine Heidenangst.«
»Aber würde sie Granger daran hindern, den seismischen Vibrator einzusetzen?«
»Vielleicht. Wenn es ihr möglich wäre.«
»Ist es einen Versuch wert?«
»Haben wir eine andere Wahl?«
Priest war jetzt zu allem entschlossen. Vielleicht gaben der Gouverneur und der Präsident seinen Forderungen doch nicht nach, nicht einmal nach der Katastrophe in Felicitas. Doch heute abend würde sich ein drittes Erdbeben ereignen. Und dann würde er John Truth anrufen und erklären: Ich werde es noch einmal tun! Und das nächste Mal könnte es Los Angeles treffen oder San Bernadino oder San ]ose. Ich kann es so oft machen, wie ich will. Ich mach‘ euch Feuer unterm Arsch, bis ihr nachgebt. Es liegt ganz bei euch!
Die Innenstadt von Los Angeles war eine riesige Geisterstadt. Nur wenige Leute waren einkaufen oder auf einem Spaziergang, wenngleich viele in die Kirchen gingen. Die Tische des Restaurants waren nur zur Hälfte besetzt. Priest bestellte Eier und trank drei Bloody Marys. Melanie war bedrückt; sie machte
sich Sorgen wegen Dusty. Priest glaubte, daß es dem Jungen gutginge; schließlich war er bei seinem Vater.
»Hab‘ ich dir jemals gesagt, weshalb ich Granger genannt werde?« fragte er Melanie.
»Ist das nicht der Name deiner Eltern?«
»Meine Mutter nannte sich Veronica Nightingale. Sie sagte mir, mein Vater hätte Stewart Granger geheißen. Er wär‘ auf ‚ne lange Reise gegangen, hat sie mir erzählt, würde aber eines Tages zurückkommen, in ‚ner großen Limousine, die mit Geschenken beladen wäre – Parfüm und Schokolade für meine Alte und ‚n Fahrrad für mich. An Regentagen, wenn ich nicht auf den Straßen spielen konnte, hab‘ ich immer stundenlang am Fenster gesessen und auf meinen Vater gewartet.«
Für einen Moment schien Melanie ihre eigenen Probleme zu vergessen. »Dann warst du ein armer Junge«, sagte sie.
»Ich muß so zwölf Jahre alt gewesen sein, als ich erfuhr, daß Stewart Granger ‚n großer Filmstar war. Ungefähr zu der Zeit, als ich geboren wurde, hat er in King Solomon ‚s Mines den Allan Quatermain gespielt. Ich glaube, für meine Mutter war er so was wie ‚n Traumbild. Hat mir‘s Herz gebrochen, das kann ich dir sagen. Die vielen Stunden aus dem verdammten Fenster zu gaffen.« Priest lächelte, doch die Erinnerung schmerzte.
»Wer weiß?« sagte Melanie. »Vielleicht war er wirklich dein Vater. Auch Filmstars gehen zu Prostituierten.«
»Ich sollte ihn wohl mal fragen.«
»Er ist tot.«
»Ach? Das wußte ich gar nicht.«
»Ja. Ich hab‘s vor ein paar Jahren in People gelesen.«
Priest verspürte einen Anflug von Trauer. Er hatte niemals einen richtigen Vater gehabt, und Stewart Granger war dem Bild eines Vaters wenigstens nahe
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