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Die Kinder Von Eden : Roman

Die Kinder Von Eden : Roman

Titel: Die Kinder Von Eden : Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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beiden angeklagten Chinesen sympathisieren würde, weil sie gleicher Herkunft waren wie er, oder ob er sie eher haßte, weil sie Schande über sein Volk gebracht hatten. Mit ruhiger Stimme sagte er: »Das sind wir.«
    »Und wie lautet Ihr Urteil? Schuldig oder unschuldig?«
    »Schuldig im Sinne der Anklage.«
    Sekundenlang herrschte Schweigen, bis die Bedeutung des Satzes allen Anwesenden ins Bewußtsein gedrungen war. Judy hörte ein Stöhnen, das von der Anklagebank hinter ihr kam. Sie selbst mußte sich am Riemen reißen, um nicht lauthals zu jubeln. Don, dessen Blick sie suchte, lächelte ihr strahlend zu.
    Die teuren Anwälte blätterten beflissen in ihren Akten und vermieden es, einander in die Augen zu schauen. Zwei Reporter sprangen auf, verließen hastig den Saal und stürzten zu den Telefonen.
    Der Richter, ein dünner, mürrisch dreinblickender Mann von etwa fünfzig Jahren, dankte den Geschworenen und schloß die Sitzung mit der Bemerkung, das Strafmaß werde in einer Woche verkündet.
    Ich hab‘s geschafft, dachte Judy. Ich habe gewonnen. Ich hab‘ die schweren Jungs hinter Gitter gebracht. Damit habe ich meine Beförderung in der Tasche. Dezernatsleiterin Judy Maddox, gerade mal sechsunddreißig Jahre alt, der aufgehende Stern …
    »Die Anwesenden mögen sich erheben«, sagte der Gerichtsdiener.
    Der Richter verließ den Saal.
    Don schloß Judy in die Arme.
    »Du hast großartige Arbeit geleistet«, sagte sie zu ihm. »Ich danke dir.«
    »Und du hast mir einen großartigen Fall geliefert«, erwiderte er. Sie spürte, daß er sie küssen wollte, daher trat sie einen Schritt zurück. »Wir waren beide gut«, sagte sie.
    Sie wandte sich ihren Kolleginnen und Kollegen zu, umarmte sie, schüttelte Hände, bedankte sich bei allen für ihre Mitarbeit. Dann kamen die beiden Verteidiger auf sie zu. Der ältere war David Fielding, Partner in der Kanzlei Brooks Fielding, ein distinguierter Herr um die Sechzig. »Meinen Glückwunsch zu Ihrem wohlverdienten Erfolg, Ms. Maddox«, sagte er.
    »Danke«, sagte Judy. »Es war knapper, als ich erwartet hatte. Bevor Sie anfingen, dachte ich, der Fall wäre längst gelaufen.«
    Fielding nahm das Kompliment mit einer angedeuteten Verneigung seines makellos frisierten und gepflegten Kopfes entgegen. »Sie haben mustergültige Vorarbeit geleistet. Wo haben Sie studiert?«
    »An der Stanford Law School.«
    »Dacht‘ ich mir doch, daß Sie Jura studiert haben. Wie dem auch sei: Sollte Ihnen eines Tages die Arbeit beim FBI keinen Spaß mehr machen, schauen Sie doch bitte bei mir herein. In meiner Kanzlei könnten Sie in nicht einmal einem Jahr dreimal soviel verdienen wie jetzt.«
    Judy fühlte sich geschmeichelt, aber sie ärgerte sich auch über Fieldings gönnerhafte Art. Entsprechend scharf fiel ihre Antwort aus. »Ein nettes Angebot. Aber mir ist es lieber, ich schicke die schweren Jungs hinter Gitter, statt dafür zu sorgen, daß sie weiter frei herumlaufen können.«
    »Ich bewundere Ihren Idealismus«, erwiderte Fielding aalglatt und wandte sich Don zu.
    Judy wurde klar, daß sie wieder einmal biestig reagiert hatte. Das war einer ihrer Fehler, sie wußte es. Aber zum Teufel damit, dachte sie. Ich will doch gar keinen Job bei Brooks Fielding.
    Sie griff nach ihrer Aktentasche. Sie brannte darauf, ihren Erfolg mit dem SAC zu teilen. Das FBI-Büro für San Francisco befand sich zwei Etagen tiefer im gleichen Gebäude. Als sie sich zum Gehen wandte, hielt Don sie am Arm fest. »Wollen wir zusammen zu Abend essen?« fragte er sie. »Wir haben allen Grund zum Feiern.«
    Judy hatte keine andere Verabredung. »Einverstanden.«
    »Ich reserviere uns einen Tisch und ruf dich an.«
    Beim Verlassen des Gerichtssaals fiel ihr wieder ein, daß sie das Gefühl gehabt hatte, er wolle sie küssen. Jetzt wünschte sie, sie hätte sich eine Ausrede einfallen lassen.
    Als Judy die Lobby der FBI-Dienststelle betrat, fragte sie sich erneut, warum weder der SAC noch der ASAC zur Urteilsverkündung erschienen waren, zumal sie keinerlei Anzeichen für ungewöhnliche Aktivitäten bemerkte. Die mit Teppichboden ausgelegten Korridore waren still, der Postroboter, ein motorisiertes Wägelchen, summte auf vorbestimmter Route von Tür zu Tür. Gemessen daran, daß es sich um eine Strafverfolgungsbehörde handelte, waren die Räumlichkeiten ausgesprochen schick – ein himmelweiter Unterschied zu einem gewöhnlichen Polizeirevier, etwa so groß wie der zwischen der Chefetage eines Konzerns und

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