Die Kinder Von Eden : Roman
Idee.«
»Okay«, sagte Priest und wandte sich an Melanie: »Dann hol mal deine Ausrüstung.«
Melanie ging.
»Wie unterschreiben wir die Botschaft?« wollte Star wissen. »Wir brauchen einen Namen.«
»Irgendwas Symbolisches für eine friedliebende Gruppe von Menschen, die nur ungern zur Gewalt greift«, meinte Song.
»Ich hab‘s«, sagte Priest. »Wir nennen uns Die Kinder von Eden.«
Es war der 1. Mai, kurz vor Mitternacht.
Priest wurde nervös, als er die Außenbezirke von San Antonio erreichte. Der ursprüngliche Plan hatte vorgesehen, daß Mario den Laster zum Flughafen fuhr, doch nun war Priest in dem Gewirr von Straßen und Kreuzungen, das die Stadt umgab, auf sich allein gestellt. Er geriet ins Schwitzen.
Jede Straßenkarte, jeder Stadtplan war ihm ein Buch mit sieben Siegeln.
Wenn er ihm unbekannte Strecken fahren mußte, nahm er immer Star mit, die ihm dann sagte, wo‘s langging. Sie und die anderen Reisesser wußten, daß er nicht lesen konnte. Seine letzte Fahrt über Straßen, die er nicht kannte, hatte er im Spätherbst 1972 unternommen; damals war er aus Los Angeles geflohen und nur durch Zufall bei der Kommune im Silver River Valley gelandet. Es war ihm völlig egal gewesen, wohin es ihn verschlug; im Grunde seines Herzens wäre er sogar am liebsten gestorben. Heute war es anders: Er wollte leben.
Selbst Verkehrsschilder waren problematisch. Wenn er anhielt und sich eine Zeitlang konzentrierte, konnte er allenfalls Angaben wie East und West, North und South unterscheiden. Zahlen vermochte er, trotz seiner außergewöhnlichen Fähigkeiten im Kopfrechnen, nur zu entziffern, wenn er sie sich längere Zeit genau betrachtete und scharf nachdachte. Mit etwas Mühe erkannte er die Ausschilderung für die Schnellstraße Nr. 10: ein Stab und ein Kreis. Aber auf Straßenschildern stand noch allerhand anderes Zeug, das ihm gar nichts sagte und ihn nur verwirrte.
Er versuchte, Ruhe zu bewahren, aber es fiel ihm schwer. Zufrieden war er nur, wenn er alles unter Kontrolle hatte. Die Verwirrung und die Hilflosigkeit, die ihn immer überkamen, wenn er sich verfahren hatte, trieben ihn schier zum Wahnsinn. Vom Sonnenstand her wußte er, wo Norden war. Hatte er das Gefühl, falsch gefahren zu sein, hielt er beim nächsten Einkaufszentrum oder der nächsten Tankstelle an und fragte nach dem Weg. Das tat er allerdings äußerst ungern, denn natürlich fiel der seismische Vibrator auf – er war ein riesiges Gefährt, und die Apparaturen auf der Ladefläche erweckten die Neugier der Leute. Das erhöhte die Gefahr, daß sich später jemand an ihn erinnerte. Manchmal blieb Priest jedoch gar nichts anderes übrig, als das Risiko auf sich zu nehmen.
Die Auskünfte, die er erhielt, waren nicht immer hilfreich. Tankwarte äußerten sich zum Beispiel folgendermaßen: »Kein Problem, nehmen Sie einfach den Highway nach Corpus Christi, bis Sie ein Schild zum Luftwaffenstützpunkt Brooks sehen.«
Priest zwang sich zur Ruhe, fragte nach und fragte noch einmal, ließ sich weder seine Nervosität noch seine Angst anmerken. Er schlüpfte in die Rolle eines netten, aber begriffsstutzigen Lastwagenfahrers, eines Typen, den man schon am nächsten Tag vergessen hat. Und schließlich gelang es ihm tatsächlich, die richtige Ausfallstraße zu finden und San Antonio hinter sich zu lassen. Seine Dankgebete galten allen Göttern, die ihm nur zuhören mochten.
Schon Minuten später entdeckte er zu seiner großen Erleichterung in einer kleineren Ortschaft den blauen Honda. Er parkte vor dem McDonald‘s-Restaurant.
Dankbar schloß Priest Star in die Arme. »Was, zum Teufel, war denn bloß los?« fragte sie. »Ich warte hier schon seit Stunden auf dich!«
Er beschloß, ihr von dem Mord an Mario nichts zu erzählen. »Ich hab‘ mich in San Antonio verfahren«, erklärte er statt dessen.
»Das hab‘ ich befürchtet. Selbst für mich war das Straßengewirr unheimlich kompliziert.«
»Ich glaube, es ist nicht halb so schlimm wie in San Francisco. Aber da kenne ich mich aus.«
»Na schön, jetzt bist du jedenfalls da. Komm, wir bestellen uns einen Kaffee, du brauchst eine Pause.« Priest besorgte sich einen Gemüseburger und bekam einen kleinen Plastikclown dazu, den er als Mitbringsel für seinen sechsjährigen Sohn Smiler sorgsam in die Tasche steckte.
Als sie sich wieder auf den Weg machten, übernahm Star das Steuer. Sie hatten vor, ohne nennenswerte Pausen direkt nach Kalifornien zu fahren; das hieß, sie würden
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