Die Kinder Von Eden : Roman
still, doch jedesmal wenn Priest ein Blick nach hinten warf, war ein Auge offen.
Priest machte sich Sorgen.
Dir geht es doch prächtig, sagte er sich, du hast doch keinen Grund zur Sorge … Es war wie in den alten Zeiten. In seiner Jugend hatte er immer irgend etwas am Laufen gehabt, irgendein Ding, er drehen wollte. Mal einen Plan zum Geldverdienen, mal einen zum Geldklauen. Mal ging‘s zu einer Party, mal zu einer Straßenschlacht. Später hatte er sozusagen den Frieden entdeckt, doch ab und zu beschlich ihn das Gefühl, sein Leben verliefe allzu friedlich. Der Diebstahl des seismischen Vibrators hatte sein altes Ich zu neuem Leben erweckt: Ein hübsches Mädchen neben sich und vor sich die Aussicht auf ein brisantes Katz-und-Maus-Spiel, das seine gesamte Intelligenz erforderte – er fühlte sich so lebendig wie schon seit Jahren nicht mehr.
Dennoch machte er sich Sorgen.
Er hatte den Mund ganz schön voll genommen, sich damit gebrüstet, den Gouverneur von Kalifornien kleinzukriegen, und er hatte angekündigt, er werde ein Erdbeben auslösen. Ging das schief, war er erledigt. Alles, was ihm lieb und teuer war, stand auf dem Spiel, und wenn man ihn erwischte, saß er voraussichtlich bis ins hohe Alter im Gefängnis.
Aber er war nun mal ein ungewöhnlicher Mensch. Daß er anders war als andere, wußte er schon, seit er denken konnte. Die üblichen Regeln galten für ihn nicht. Er tat Dinge, von denen andere nicht einmal zu träumen wagten.
Und er hatte sein Ziel schon halbwegs erreicht: Er hatte den seismischen Vibrator gestohlen. Dafür hatte er zwar einen Menschen umbringen müssen, aber niemand war ihm auf die Schliche gekommen. Abgesehen von gelegentlichen Alpträumen, in denen Mario mit brennenden Kleidern und eingeschlagenem, blutüberströmtem Schädel aus dem lodernden Pickup kletterte und auf ihn zuwankte, war der Mord ohne Nachspiel geblieben.
Der Laster mit dem Vibrator stand inzwischen versteckt in einem abgelegenen Seitental am Fuße der Sierra Nevada. Heute wollte Priest auf den Punkt genau herausfinden, wo er das Gerät plazieren mußte, um ein Erdbeben hervorzurufen.
Die dazu erforderlichen Informationen sollte ihm Melanies Ehemann liefern.
Michael Quercus galt – dies behauptete jedenfalls Melanie -weltweit als der beste Kenner der St.- Andreas-Spalte, und die wissenschaftlichen Daten, auf denen seine Kompetenz beruhte, waren in seinem Computer gespeichert. Priest hatte vor, die Sicherungsdiskette zu stehlen, und er wollte dafür sorgen, daß Michael nie etwas davon erfuhr.
Ohne Melanies Hilfe war das nicht zu bewerkstelligen, und genau hierin lag der Grund für seine Sorge. Er kannte Melanie erst seit wenigen Wochen und wußte, daß er in dieser kurzen Zeit bereits zur alles beherrschenden Figur in ihrem Leben geworden war. Allerdings hatte er sie noch nie auf die Probe gestellt, schon gar nicht in einer kritischen Situation wie dieser. Zu bedenken war auch, daß sie sechs Jahre lang mit Michael verheiratet gewesen war: Nicht auszuschließen, daß sie plötzlich bereute, ihn verlassen zu haben, oder daß ihr unvermittelt einfiel, wie sehr ihr ein Fernsehapparat und eine Geschirrspülmaschine fehlten. Möglich war auch, daß ihr plötzlich aufging, in welche Gefahr sie und Priest sich begaben, und daß sie dann vor der kriminellen Tat zurückscheute. Wer konnte schon vorhersagen, wie eine so verbitterte, verwirrte und chaotische Person wie Melanie reagieren mochte?
Auf dem Rücksitz erwachte allmählich ihr fünfjähriger Sohn. Zuerst rührte sich Spirit. Priest hörte das Scharren der Hundepfoten auf dem Sitz, dann vernahm er ein kindliches Gähnen. Dustin, den alle nur Dusty nannten, war ein unglückseligesKind, das an einer Vielzahl von Allergien litt. Bislang hatte Priest noch keinen seiner Anfälle miterlebt, doch Melanie hatte sie ihm beschrieben: Wenn es losging, mußte Dusty unkontrollierbar niesen, seine Augen traten aus den Höhlen, und seine Haut wurd von einem stark juckenden Ausschlag überzogen. Melanie führt stets starke Antiallergika mit sich, die aber die Symptome nur teilweise lindern konnten.
Dusty begann zu quengeln.
»Mammi, ich habe Durst.« :
Melanie erwachte, setzte sich auf und streckte sich. Priest schiele nach ihren Brüsten, die sich unter ihrem knappsitzenden T-Shirt abzeichneten. Melanie drehte sich um und sagte: »Trink Wasser, Dusty, du hast doch eine Flasche.«
»Ich will aber kein Wasser«, jammerte er. »Ich will Orangensaft.«
»Wir haben aber
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