Die Kinder von Erin (German Edition)
lächelte. »In einer anderen Welt, vielleicht. In dieser Welt bin ich nur der, der dir sagt: Du hast einen Fehler gemacht, junger Held. Ich weiß nicht, wer oder was dich hierher getrieben hat, aber du hast etwas zerstört, was das Gleichgewicht dieser Welt aufrecht erhielt, wie die Menschen immer das Ideal zu zerstören suchen.«
»Das interessiert mich alles nicht«, knurrte Hagen. »Wo ist Gunhild, verdammt noch mal!?«
Doch der Gott mit dem Gesicht seines Vaters ließ sich nicht beirren.
»Während du hier Trugbildern nachjagst, steht der Feind bereits vor dem Land des Königs, dem du Treue geschworen hast …«
»Das sollen die anderen regeln.« Hagen merkte, dass sich inzwischen Wasserlachen auf dem Boden gebildet hatten. Anscheinend hatte die Stadt unter dem Meer durch die Erschütterung ein ernsthaftes Leck bekommen. Oder lag es daran, dass selbst die Macht des Meergottes ohne die Kraft des Auges nicht ausreichte, diese Konstruktion stabil zu halten? »Ich will hier raus.«
»Es gibt keine anderen. Die Krieger des Königs sind fern. Seine Stadt liegt ungeschützt. Willst du für Krieg und Mord verantwortlich sein?«
Hagen packte der Zorn. Es war keine übernatürliche, sondern eine rein menschliche Wut. »Ihr Götter oder wer immer ihr seid«, sagte er, »treibt doch alle euer eigenes Spiel. Und welches Leid dies für die Menschen bringt, das kümmert euch nicht. Und glaub nicht, dass die Waffen, die ihr uns in die Hand gebt, sich nicht auch gegen euch richten können.«
Er trat einen weiteren Schritt auf den Gott zu. Das Wasser reichte ihm schon bis an die Knöchel. In den gläsernen Wänden der Halle bildeten sich die ersten Risse. Er holte mit dem Speer aus, um einen letzten Wurf zu tun, doch irgendetwas ließ ihn innehalten. Der Mantel Manannáns flimmerte vor seinen Augen, als der Gott sich von ihm abwandte. Grau und grün wie das Meer war er, fließend und gewaltig wie eine Woge, die ihn aufhob und mit sich trug, ihm Sehen und Hören nahm, Verstand und Gefühl, als sie ihn fortwirbelte.
15
Der Kampf an der Furt
Als Gunhild nach wirren Träumen erwachte, war die Sonne noch nicht aufgegangen. Eine große Stille lag über der Welt.
Von den drei Frauen war nirgendwo etwas zu sehen. Es schien, als wäre sie völlig allein in der großen, uralten Feste von Cruachan. Sie hatte das Gefühl, als hätte sie viel zu lange geschlafen und sei doch früher erwacht, als sie sollte.
Ohne nach rechts und links zu sehen, taumelte sie durch den Gang. Ihre Augen waren total verklebt, und sie war schweißgebadet. Darum ging sie als Erstes zum Brunnen, zog einen Eimer voll Wasser herauf, streifte sich ihr Kleid über den Kopf und begann sich zu waschen.
An ihren Beinen war getrocknetes Blut. Ach Gott, dachte sie, auch das noch. Kein Wunder, dass sie so schlecht geschlafen hatte.
Dann zog sie sich wieder an und ging nach draußen, um den roten Stier zu suchen.
Sie wusste, dass er da war, irgendwo. Sie hatte keine Ahnung, wie sie ihn finden konnte. Sie ging einmal im Uhrzeigersinn um die ganze Außenmauer herum, aber so sehr ihr Blick auch das Hügelland absuchte, so sah sie doch nirgendwo eine Bewegung. Reif lag in der Luft. Es war, als wäre die ganze Erde erstarrt.
Sie setzte sich auf die Bank vor dem Eingang und schloss die Augen.
Als sie sie wieder öffnete, stand der Stier vor ihr. Seine scharfen Hörner waren nur einen Fingerbreit von ihrer Brust entfernt. Er hatte den Kopf gesenkt. Sie konnte ihm nicht in die Augen sehen. Sie zitterte am ganzen Körper. Eine winzige Bewegung nur und sie wäre tot.
Sie streckte die Hand aus und legte sie auf das rote Fell des Nackens. Es war warm, das einzige Warme in dieser kalten Welt.
»Komm!«, sagte Gunhild.
Der Stier folgte ihr, fromm wie ein Lamm, doch Gunhild wusste genau, dass es eine freiwillige Unterwerfung war, die sie in keinem Moment als gegeben hinnehmen durfte. Es lagt eine Spannung in der Luft, die sich jeden Augenblick entladen konnte. Die tödliche Kraft des Stieres war nur gebannt, nicht bezwungen.
Als die braune Kuh des roten Stiers ansichtig wurde, muhte sie leise. Dampf stieg aus ihren Nüstern auf und von ihrem Fell, stand in Wölkchen in der eisigen Luft.
Gunhild zerrte den Wagen mit dem Geschirr ins Freie. Willig ließ sich der Stier die eine Seite des Jochs auflegen. Sie zog die Riemen an, schloss die Schnallen.
»Schön warten, jetzt«, sagte sie. Es kam ihr selber albern vor, aber sie wusste nicht, was sie sonst hätte sagen
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