Die Kinder von Erin (German Edition)
zusammen. Seine Fantasie schlug Purzelbäume. Doch er kam nicht dazu, länger darüber nachzudenken, weil in diesem Augenblick eine junge Frau den Raum betrat.
Sie war ebenso entgeistert bei dem Anblick der waffenstarrenden Schar wie Hagen und seine Freunde angesichts des ihren. Doch dann traten die trainierten Reflexe der jungen Krieger in Aktion. Conall Cearnach sprang vor und packte sie, während Follaman ihr bereits die Hand auf den Mund presste, damit sie nicht schreien konnte.
Hagen trat vor. »Bist du eine Gefangene?«, fragte er. Etwas anderes kam ihm nicht in den Sinn.
Sie blickte ihn aus aufgerissenen, mandelförmigen, grün schimmernden Augen an.
»Lasst sie reden«, sagte Hagen. »Sie kann uns nichts tun.«
Widerstrebend gab Follaman die junge Frau frei, doch Conall hielt sie nach wie vor fest im Griff.
»Verstehst du mich?«, fragte Hagen.
Sie nickte.
»Wir suchen ein Mädchen«, erklärte er, »aus … der Außenwelt.« Er wusste keinen besseren Begriff dafür. »Sie wurde hierher entführt, von den Einäugigen, vor …«, er versuchte zu rechnen, »vor drei, nein vier Tagen. Weißt du, wohin man sich gebracht hat?«
Sie zögerte. Conall verstärkte den Druck.
»Hast du sie gesehen?«
Erneut nickte sie. »Die Herrin hat sie fortgeführt.« Ihre Stimme war leise und melodiös. »In die Große Halle, wo Balors Auge wacht.« Sie schauderte ein wenig. »Seitdem hat keiner sie mehr erblickt.«
»Und wo ist diese Halle?«
Sie schwieg, aber ihr Blick ging unwillkürlich über ihre Schulter.
»Folgt mir!«, befahl Hagen.
Erst als er und seine Gefährten den Raum bereits verließen, fand sie ihre Stimme wieder.
»Manannaaan!«
Eine Tür wurden aufgerissen. Zwei Wachen drängten heraus, versperrten ihnen den Weg: große, grüne, einäugige Ungeheuer.
»Zielt auf die Augen!«, schrie Hagen. Doch es hätte dessen gar nicht bedurft. Die Wölflinge griffen bereits an. Während Follaman bei dem rechten Wächter einen Hieb antäuschte, stieß Conall blitzschnell mit dem Speer zu. Laeg zog derweil die Aufmerksamkeit des Linken auf sich. Der ließ seine Keule kreisen, doch der Schlag kam ungelenk, als habe er sich von der Überraschung noch nicht erholt oder sei das Kämpfen nicht mehr gewohnt. Laeg lenkte ihn mühelos mit dem Schwert zur Seite, während Erc sich vor die Füße des Monsters warf und es ins Taumeln brachte. Mit einem Schwerthieb in den Nacken schickte Laeg es zu Boden.
Das Ganze war so schnell gegangen, dass Hagen überhaupt keine Chance gehabt hatte, einzugreifen. »Los, weiter!«, drängte er. Sie hatten das Überraschungsmoment verloren. Jetzt kam es nur noch auf die Schnelligkeit an.
Sie rannten in die Richtung, die das Mädchen ihnen gewiesen hatte. Weitere Wächter tauchten vor ihnen auf, aber sie wichen kampflos zurück. Hagen und seine Gefährten verfolgten sie eine Flucht von breiten Treppenstufen hinauf und durch ein hohes Portal, durch das sie in einen großen, offenen Raum hineindrängten.
Sie standen unter einer hohen, schimmernden Kuppel. Der Raum war achteckig, gesäumt von vier weißen und vier schwarzen Säulen im Wechsel. Hohe Fenster gaben den Blick frei auf das Meer, das im Dunkel lag.
In der Kuppelhalle hatte sich mindestens ein Dutzend der grünen Wesen versammelt – waffenstarrend, Furcht erregend, schrecklich in ihrer Fremdartigkeit. Doch was den Blick aller auf sich zog, war das seltsame Ding im Zentrum des Raumes.
Auf einer grob behauenen Steinsäule, die mit Spiralen und verschlungenen Bändern verziert war, lag ein abgetrennter Kopf, grüngeschuppt, dessen Auge mit einem Deckel aus irisierendem Silber verschlossen war, bedeckt von fein ziselierten Ornamenten.
Und der Kopf lebte.
»Öffnet das Auge!«, gebot eine Stimme aus dem Hintergrund des Raumes. »Damit sie, die den Tod in die Hallen unter dem Meer bringen, in ihr eigenes Verderben blicken!«
Hagen wusste, dass etwas Schreckliches geschehen würde. Und doch hatte er keine Angst. Das Einzige, was ihn erfüllte, war Zorn, ein wilder, ohnmächtiger Grimm, weil er so weit gekommen und jetzt, am Ende, doch noch gescheitert war.
Er packte den Speer, hielt ihn hoch wie einen Schild.
In diesem Augenblick öffneten die Fomorier das Auge Balors.
Irgendwo, fern im Westen, schrie ein Mädchen im Schlaf.
Sie träumte. Sie stand an einem tiefen Abgrund. Und hinter dem Abgrund war … nichts.
Ein Wind kam auf, trieb das Dunkel in schwarzen Schwaden aus der Tiefe herauf. Der Wind zerrte an ihren Kleidern,
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