Die Kinder von Erin (German Edition)
Zeit, um sich darüber klar zu werden, was die Antwort des Hundes zu bedeuten hatte.
»Was für Menschen?«, fragte er und sah dem Hund direkt in die Augen.
Menschen deiner Art, war die Antwort, die direkt in Hagens Kopf zu entstehen schien. Sie können dir helfen, und du kannst was für sie tun.
»Und was?«, fragte Hagen.
Gehen wir. Sie werden es dir sagen, sprachen die Bilder in seinem Kopf.
»Und was ist aus Gunhild, dem Mädchen, geworden, das die einäugigen Monster entführt haben? Hast du was gesehen?«
Der Hund antwortete nicht. Er legte nur den Kopf schief und sah Hagen an.
»Hast du mich nicht verstanden?«, hakte Hagen nach. »Das blonde Mädchen …« Hagen zögerte einen Moment. »Das Weibchen ?«
Aber der Hund sah ihn nur mit schiefgelegtem Kopf an und zeigte sein Lächeln, aber er schien nicht zu verstehen. Oder tat der Hund nur so? Wie viel verstand das Tier überhaupt von dem, was Hagen fragte?
Komm, wir laufen. Menschen helfen dir und du ihnen, sagte der Hund.
Dann wandte sich das Tier um und setzte sich in Bewegung.
Wieder ging es schnurstracks nach Norden, als gäbe es für den Wolfshund nur diese und keine andere Richtung. Hagen glaubte, dass sein bepelzter Führer schneller war als am Morgen. Der Junge musste so seinen Atem sparen und konnte seinen Begleiter nicht mit Fragen löchern. Um mit dem Hund Schritt zu halten, musste er ziemlich rennen. Das war kein gemütlicher Trott mehr, und Hagen kam tüchtig ins Schwitzen.
Doch allmählich begann er sich an den Schritt des Wolfshundes zu gewöhnen, und desto mehr Zeit hatte er, seine Umgebung zu beobachten. Sie rannten über offenes, hügeliges Grasland. An den Südhängen der Hügel waren oft kleine Gehölze oder Buschwerk zu finden. Manchmal zogen sich verfallene Steinmauern an den Hängen entlang, aus Bruchsteinen aufgeschichtet, sodass man kaum entscheiden konnte, wo das Werk des Menschen endete und das der Natur begann. Von den Kuppen eines Hügels hatte Hagen in der Ferne eine Schafherde gesehen, die von sich gemächlich bewegenden Hütehunden umkreist wurde, aber ansonsten trafen sie weder Mensch noch Tier auf ihrem Weg. Die Einförmigkeit dieses grünen Wiesenmeeres wurde nur von Gebüsch und kleinen Wäldchen unterbrochen, die wie Inseln aus dem grünen Meer des Hügellands ragten.
Aus einem Baum stieg ein Falke oder ein anderer Greifvogel auf. Hagen war fasziniert von dem Anblick, weil sich das Tier wie in Zeitlupe aus dem Wipfel erhob und nur ganz langsam an Höhe gewann. Es sah aus, als wolle ihn die Erde nicht aus ihrem Bann der Anziehungskraft in sein Element, die Luft, entlassen.
Der Anblick des Vogels und sein Bemühen, Höhe zu gewinnen, ließ einen unangenehmen Gedanken in Hagen aufkeimen.
Auch die Hunde hatten sich um die ferne Schafherde bewegt, als hätten sie alle Zeit der Welt. Vielleicht, so dachte Hagen, war ihr Lauf – sein eigener und der seines grauen Führers – nicht natürlich, sondern sie bewegten sich irgendwie schneller; vielleicht lief die Zeit für sie anders, sodass sich ihre Umgebung scheinbar langsamer bewegte. Wenn dem so war, dann musste er viel schneller sein, als ein normaler Mensch je laufen könnte. Und er musste eine größere Strecke zurückgelegt haben, als er sich vorzustellen vermochte.
Wie lange rannten sie überhaupt schon so durch die Lande? Wenn die Zeit keine Rolle spielte, war diese Frage kaum zu beantworten.
Welche Fähigkeiten mochten noch in dem grauen Hund stecken, der gleichmäßig mit weit ausgreifenden Schritten vor ihm herlief und keine Anzeichen von Müdigkeit zeigte?
Die Sonne hatte ihren höchsten Punkt gerade überschritten, als sie von einer Hügelkuppe in ein flaches Tal blickten, durch das sich in weiten Schlaufen ein gemächlich dahinströmender Fluss zog. Der Hund wich ein wenig von seinem strikten Nordkurs nach Westen ab, soweit Hagen das, nur mit der Sonne als Richtungsweiser, feststellen konnte.
Zur Furt, signalisierte ihm der Hund. Hagens Verstand sah neben dieser Information den Hund durch eine flache Stelle des Flusses laufen. Der Junge gab keine Antwort, denn das Tier wartete nicht auf eine Erwiderung, sondern rannte mit unverminderter Geschwindigkeit voran.
Während des Laufens konnte Hagen ein einsames Gehöft ausmachen, das ein gutes Stück abseits des Flusses am Rand eines Waldes stand. Ein strohgedecktes Dach, mit Steinen und Stricken gesichert, glänzte über geweißten Steinwänden. Rauch, der durch das Stroh drang, stand in einer
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