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Die Kinder von Erin (German Edition)

Die Kinder von Erin (German Edition)

Titel: Die Kinder von Erin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
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Einsamkeit.
    Dann sah er sie .
    Sie kam durch den Nebel getrieben, doch zugleich schien sie auf festem Grund zu stehen – nein, zu schweben, denn ihre Füße bewegten sich nicht. Und doch kam sie auf ihn zu. Ihr Haar, das einmal blond gewesen war, war nun weiß wie Schnee; es umgab sie in einem Schleier von schimmerndem Licht. Einzelne Strähnen lösten sich daraus, wanden sich in alle Richtungen, bis sie eins wurden mit dem Nebel. Sie trug ein Diadem auf der Stirn, gleich einer Königin; die Steine darin glühten in einem fahlen, farblosen Feuer. Juwelen, in bleiches Gold gefasst, glitzerten frostig an ihrem Hals und auf ihrer Brust. Ihr langes, helles Kleid, wie von einem unsichtbaren Wind gebauscht, flatterte und zerfaserte in der Brise. Doch weißer noch als ihr Gewand, leuchtender als ihr Haar, blasser als die kalte Pracht ihres Geschmeides war das bleiche Gesicht der Ban-Sidhe, und in diesem Gesicht lag eine solche Traurigkeit, dass nichts und niemand in der ganzen weiten Welt auch nur einen Funken Hoffnung dagegen setzen mochte, um sie zu lindern.
    Mein Kind, heulte die Ban-Sidhe. Ich habe dich verloren. Und jetzt bin ich allein, allein …
    Mutter, wollte Hagen rufen, aber er brachte keinen Laut über die Lippen. Und dennoch schien sie seinen lautlosen Ruf gehört zu haben; denn sie wandte sich ihm zu. Im nächsten Augenblick würde sie ihn ansehen, und dieser Blick würde ihm das Herz brechen.
    Hagen schloss die Augen. Es war das Einzige, zu dem er in dieser Situation noch imstande war. Der weiße Nebel ringsum wich schlagartig der inneren Dunkelheit, und er sah.
    Er sah Fergus, der zusammengekauert im Winkel zwischen dem steinernen Grab und dem Boden des Hügels hockte. Seine Augen waren aufgerissen, traten ihm fast aus den Höhlen. Aber da war nichts, was er hätte sehen können. Nur die regenschwangere Nacht über den Baumwipfeln und der Nebel, der in dünnen Fahnen aus den Niederungen heraufkroch.
    Schaum stand vor Fergus’ Mund. Seine Hände zuckten unkontrollierbar. Die Axt, die er in der Rechten getragen hatte, hatte er fallen lassen; der Schild in seiner Linken löste sich aus seinem Griff und polterte zu Boden.
    Komm, komm! Komm zu mir! Meine Umarmung ist kalt. Mein Kuss ist der Tod. Doch wenn du bei mir bist, werden wir nie mehr allein sein. Und du wirst Frieden finden …
    Die Stimme schien von überallher zu kommen, vor allem aber aus den Tiefen des steinernen Grabes, aus der Dunkelheit, welche hinter den Stufen lag, die in das Innere des Heiligtums führten.
    Fergus schrie.
    Er mochte brutal sein und beschränkt, der Recke des Königs. Er war sicher nicht mit einer überragenden Intelligenz gesegnet. Er hatte bislang, wie es schien, alle seine Probleme mit seiner Körperkraft gelöst. Die konnte ihm hier nicht helfen. Aber er war ein Kämpfer.
    »Neiiiiin!«
    Fergus sprang auf. Wie ein Irrer rannte er den Hügel hinab, ohne nach rechts und links zu schauen. Erst als er den Kreis der Steine erreichte, der die Erhebung von Emain Macha umgab, verlangsamte sich sein Schritt. Er taumelte ein Stück weiter, bis er den schützenden Rand des Waldes erreichte. Wimmernd kroch er zwischen die Bäume, wühlte sich in das feuchte Erdreich, nur um nichts mehr zu sehen, nichts mehr zu hören, nichts mehr zu fühlen.
    Das Wimmern verebbte. Ein Problem weniger, dachte Hagen. Doch er wusste, dass er sein eigentliches Problem noch lange nicht gelöst hatte. Denn jetzt wandte sich die Ban-Sidhe ihm zu.
    Er stand vor dem Eingang zum Grab. Er hatte die Augen immer noch geschlossen, das wusste er genau; und dennoch sah er. Vor ihm stand die Weiße Frau. Sie stand völlig reglos da. Kein Windhauch, kein Lüftchen rührte ihre Gestalt.
    Sie sah ihn an. Ihre Augen waren wie schwarze Kohlen in dem weißen Gesicht. Und hinter diesen Augen war nichts.
    In diesem Augenblick wusste er, dass er dem Tod ins Gesicht blickte. Nein, mehr noch, dies war die absolute Leere, wo nichts mehr ist, nichts mehr sein kann, ja selbst die Frage von Sein oder Nichtsein ihre Bedeutung verliert.
    Er versuchte das Gesicht abzuwenden, aber es half nichts, da er sie ja nicht mit seinen Augen sah, sondern mit einem anderen, inneren Blick. Für ihn gab es nichts mehr als diese Augen, die größer und größer wurden, sein ganzes Blickfeld anfüllten.
    Wie einfach wäre es doch, sich fallen zu lassen, einzutauchen in diese endlose dunkle Leere. An einen Ort, wo es keine Probleme mehr gab, keinen Schmerz, keinen Kummer, keine Hoffnung und auch keine

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