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Die Kinder von Estorea 01 - Das verlorene Reich

Titel: Die Kinder von Estorea 01 - Das verlorene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Barclay
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schon die ganze Zeit?«
    »Ich weiß es jetzt.«
    »Ja, das ist wenigstens ehrlich«, sagte Kessian, auch wenn die Antwort nicht dem entsprach, was er gern gehört hätte. »Nun sage mir eines. War es erst die Tatsache, dass ich hierherkommen würde, die dich zum Nachdenken brachte und dich erkennen ließ, dass du einen Fehler gemacht hast?«
    Gorian runzelte die Stirn, dann nickte er. »Ich glaube schon.«
    »Was wird dich zum Nachdenken bringen, wenn ich nicht mehr da bin?«
    »Du wirst immer da sein, Vater Kessian«, erwiderte Gorian ein wenig verzweifelt. »Wir brauchen dich. Ich brauche dich.«
    Kessian widerstand dem Drang, den Kopf in den Händen zu bergen und rang sich ein kleines Lächeln ab. »Oh Gorian, wir wissen doch beide genau, wie alt ich bin. Ich werde nicht ewig leben. Eines Tages, vielleicht schon bald, wird Gott seine Arme öffnen und mich aufnehmen. Ich frage mich, an wen du dich dann wenden willst.«
    Wen wird der Junge genügend achten, um die Disziplin zu wahren? Kessian schüttelte den Kopf und stand auf.
    »Gehst du schon?«
    »Ja, ich muss gehen.«
    »Was wird jetzt passieren?«
    Kessian betrachtete Gorian, jeder Zoll der eingeschüchterte Junge, der die unausweichliche Strafe erwartet. Ein krasser Widerspruch zum vergangenen Abend. Er seufzte.
    »Ich weiß immer noch nicht, ob dir wirklich völlig klar ist, was du getan hast«, sagte er. »Bevor du diesen Raum verlassen kannst, muss viel geschehen, aber es wird rasch geschehen. Ich will mit den anderen Aufgestiegenen sprechen, und sie werden mir bei der Entscheidung helfen, ob du zusammen mit ihnen oder vorläufig allein unterrichtet wirst. Sie allein werden entscheiden, ob sie jemals wieder mit dir spielen wollen.
    Da wir schon einmal dabei sind, möchte ich, dass du über Folgendes nachdenkst: Das Wirken des Aufstiegs ist stets darauf ausgerichtet, Hilfe zu leisten und Frieden zu stiften. Niemals darauf, anderen Schmerzen zuzufügen, sei es aus Bosheit oder um Machtansprüche durchzusetzen. Der Aufstieg ist ein Werkzeug Gottes, dessen Gnade und Wohlwollen keine Grenzen kennen. Du hast gezeigt, wie alles, was gut ist, für böse Taten benutzt werden kann. Das Skalpell eines Arztes kann jemandem die Kehle durchschneiden, und die Hacke kann einen Unschuldigen niederstrecken. Unsere Fähigkeiten können missbraucht werden, um zu morden und zu zerstören. Das darf nie wieder geschehen.
    Frage dich selbst, Gorian, ob du als ein Wundertäter geliebt und verehrt werden willst, als ein Mann, der Leben spendet und Kranke gesund macht, oder ob du gehasst und gefürchtet werden und ewig mit dem Wissen leben willst, dass es andere gibt, die nichts lieber als deinen Tod wünschen, und dass eines Tages ein Pfeil oder eine Klinge dich unerwartet treffen wird.« Er nickte, als er Gorians Reaktion sah. »Ich hoffe, das macht dir Angst. Das soll es auch. Du hast genau wie deine Brüder und deine Schwester das Potenzial zu großer Macht in dir. Wenn du so an mich glaubst, wie du es sagst, dann musst du mir einen großen Dienst erweisen und mir schwören, deine Kräfte nur für die Zwecke zu verwenden, für die dein Namensvetter sein Leben gegeben hat. Es sind die Zwecke, für die auch ich mein Leben geben würde.
    Wir werden uns noch einmal unterhalten, ehe du das Zimmer verlässt. Falls du hungrig bist, kann ich Shela bitten, dir inzwischen das Frühstück zu bringen.«
    Gorian nickte, und Kessian lächelte.
    »Gut. Denke gründlich darüber nach, Gorian. Wir lieben dich alle und wollen, dass du niemals unseren Kreis verlässt. Aber du musst lernen, dein Temperament zu zügeln, denn sonst wirst du möglicherweise ein sehr einsamer junger Mann. Enttäusche mich nicht.«
    »Das werde ich nicht tun, Vater. Es tut mir leid.«
    Kessian verließ das Zimmer und schloss hinter sich die Tür. Draußen warteten schon Genna, Meera und Shela auf ihn.
    »Ein so widersprüchlicher junger Mann. Ich frage mich, was in seinem Kopf vorgeht«, flüsterte er. »Wir müssen ihn sehr genau beobachten, sogar wenn er spielt. In seinem Kopf findet eine Schlacht statt, und ich habe keine Ahnung, welche Seite gewinnen wird. Shela, er kann jetzt frühstücken.« Dann beugte er sich vor und küsste Genna auf die Wange. »Das ist eine unerwartete Freude, meine Liebe.«
    »Im Esszimmer wartet noch eine weitere auf dich. Arvan Vasselis ist aus Estorr zurückgekehrt. Er will dich sprechen.«
    Kessian sah sich auf einmal von einer Angst befreit, die er sich bisher kaum eingestanden hatte.

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