Die Kinder von Estorea 02 - Der magische Bann
Harin. »Idiot. Sie sind schon viel zu weit entfernt.«
»Appros Harin, hütet Eure Zunge«, sagte Niranes.
Die letzten Reste von Harins Respekt lösten sich in Wohlgefallen auf. »Verdammt, das werde ich nicht tun. Ihr habt mir nicht zugehört. Ihr habt meine Warnungen in den Wind geschlagen. Ihr habt Euch darauf verlassen, dass jedes Gebiet achtzig Prozent der Maximalzahl schickt. Die neratharnische Front ist viel zu lang, um sie gegen eine so große Zahl von Angreifern zu verteidigen. Ich habe Euch schon vor fünfzehn Tagen gebeten, die Reserven von der Küste nach Norden zu verlegen. Jetzt ist es zu spät.«
»Nicht wenn wir die Flotte einsetzen, um sie zu transportieren«, zischte Niranes.
»Damit wäre die Insel Kester der tsardonischen Flotte, falls diese schon unterwegs ist, hilflos ausgeliefert. Warum hört Ihr mir eigentlich nicht zu?«
»Genug!« Die Advokatin knallte die flache Hand auf den Tisch, und ihre Stimme hallte laut durch die Basilika. Überall drehten die Leute die Köpfe. »Was sagt Ihr mir da? Dass wir die Konkordanz nicht verteidigen können? Das ist nicht hinnehmbar.«
»Wir können sie verteidigen«, widersprach Niranes. »Verlegt die Legionen von der estoreanischen und caradukischen Küste mithilfe der Ocetanas.«
»Und ich werde daraufhin im Hafen von Estorr persönlich die Tsardonier begrüßen.« Harin wandte sich an die Advokatin. »Darf ich offen sprechen?«
»Wollt Ihr damit sagen, dass Ihr das noch nicht getan habt?« Die Frage der Advokatin war frei von jeglicher Ironie. »Warum nicht? Ich stehe hier und frage mich, ob ich im kommenden Genastro überhaupt noch eine Konkordanz habe, die ich regieren kann, und höre zankenden Kindern zu. Nachdem Ihr gesprochen habt, werde ich den Generalmarschall anhören, und zwar ohne Unterbrechung.«
Harin verneigte sich und holte tief Luft.
»Der Marschall ignoriert eine Regel des Krieges – nämlich die, dass man nicht mit den Sollzahlen angreifen oder verteidigen kann, sondern nur mit dem, was man wirklich hat. Deshalb können wir im Augenblick nicht damit rechnen, dass es uns gelingt, die neratharnische Grenze zu halten. Wir könnten möglicherweise früh genug Verstärkungen hinschicken, wenn wir die Infanterieverteidigung von der Küste abziehen. Der Transport von zehn- bis fünfzehntausend Infanteristen auf dem Seeweg und über eine so große Entfernung ist jedoch kein leichtes Unterfangen. Wenn man es nicht richtig organisiert, sind die Leute am Ziel nicht mehr kampfbereit.
Die zweite Regel, die der Marschall ignoriert hat, ist die, dass man die Verteidigung auf die möglichen und nicht auf die bislang bekannten Zahlen des Feindes einstellen muss. Meine Advokatin, Gesteris hat in Scintarit vor beinahe achtzig Tagen eine Niederlage erlitten. Es ist nicht anzunehmen, dass die tsardonische Flotte vor Ort bleibt und darauf verzichtet, entweder an der Ostküste von Gestern oder, was wahrscheinlicher ist, direkt im Tirronischen Meer anzugreifen. Ihr könnt mit Sicherheit davon ausgehen, dass König Khuran darauf aus ist, seine Flagge auf dem Hügel flattern zu sehen, nachdem er uns zurückgeschlagen hat. Er wird an beiden Fronten vorstoßen.
Die atreskanische Marine verfügt über eine beträchtliche Stärke, und wir müssen annehmen, dass zahlreiche Schiffe überlaufen. Die tsardonische Marine soll dem Vernehmen nach sehr stark sein. Die Schiffe der Ocetanas sind bereits im ganzen Tirronischen Meer verteilt. Wenn wir jetzt noch einmal hundert Schiffe von ihren Positionen abziehen, laden wir die Tsardonier praktisch ein, ohne jede Gegenwehr einfach in unser Gebiet zu segeln. Wir hätten die Verteidigungskräfte schon vor fünfzehn Tagen auf dem Landweg verlegen und es den Ocetanas überlassen können, die Küsten zu bewachen. Noch wichtiger, wir hätten auch zweitausend Pferde mitnehmen können. Dieser Beamte hat meine Vorschläge in den Wind geschlagen, und jetzt ist es zu spät.«
Die Advokatin hob eine Hand, um Niranes zum Schweigen zu bringen, während sie nachdachte. Harin sah ihr zu, während sie die Karte betrachtete. Ihr Blick wanderte nach Tsard.
»Nennt mir die Möglichkeiten, die wir noch haben. Die Konkordanz darf nicht untergehen. Auf dem Feld in Tsard sind immer noch unsere Heere unterwegs. Was ist mit ihnen?«
»Wir wissen, dass Atarkis sich verpflichtet hat, die Front in Gosland zu halten. Das wird ihm gelingen, aber er wird wohl nicht in der Lage sein, seinerseits einen Durchbruch zu erzwingen. Von Jorganesh
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