Die Kinder von Estorea 02 - Der magische Bann
wo vorne war, wenn du gleichzeitig geradeaus gehen wolltest?«
Gorian blendete die Eindrücke aus und schaute zu Jhered auf, der groß und stark neben ihm stand, aber doch nur ein Mann war, der es nicht begriff.
»Die Energie wird stärker und heller, wenn man sich nähert«, erwiderte er. »Das war kein Problem.«
»Natürlich nicht«, sagte Jhered. »Kannst du noch durchhalten?«
Gorian nickte. »Ich übernehme Mirrons Wache. Sie ist müde.«
»Gut. Aber nur, wenn du sicher bist.«
»Außerdem will ich etwas ausprobieren, wenn die Tsardonier kommen.«
Jhered hockte sich hin, bis ihre Gesichter auf gleicher Höhe waren. »Du wirst überhaupt nichts versuchen. Du wirst es mir sagen, und dann kümmern wir uns gemeinsam um das, was wir erkennen. Ich bin dein Befehlshaber, ich gebe die Befehle, und ich stelle die Regeln auf.«
»Ihr herrscht nicht über mich«, sagte Gorian. »Niemand herrscht über mich.«
»Warum musst du mich herausfordern, Junge?« Jhereds Gesicht war kalt, seine Energien mühsam gebändigt. Er sprach zischend und sah Gorian eindringlich an. »Ich werde es nicht wiederholen. Du wirst tun, was ich dir sage, weil wir dann am Leben bleiben. Hintergehe mich nicht.«
Gorian schlug das Herz bis zum Hals, und er zitterte am ganzen Körper. Jhereds Gesicht war so dicht vor ihm, dass er trotz der Dunkelheit jede Narbe und Falte sehen konnte. Ihm wollte nichts einfallen, das er erwidern konnte. Der Wald hinter ihm war chaotisch, und er konnte sich nicht gut genug konzentrieren, um die Energiebahnen voneinander zu trennen.
»Ich muss meine Fähigkeiten erproben«, quetschte er schließlich heraus.
»Nicht in dieser Nacht. Nicht, wenn wir in Gefahr sind. Du darfst nur die Fähigkeiten einsetzen, die du im Schlaf beherrschst.« Jhereds Stimme klang etwas weicher. »Ich erkenne, dass du Angst hast. Könntest du jetzt etwas Neues vollbringen, wenn es sein müsste? Oder überhaupt irgendetwas?«
»Ich bin nicht sicher«, gab Gorian zu.
»Nein. Die Angst tut seltsame Dinge mit uns. Das gilt auch für Menschen wie dich. Deshalb musst du dich an meine Anweisungen halten. Ich werde dir zeigen, was zu tun ist, wenn der richtige Augenblick kommt.«
Damit stand Jhered auf, und in Gorian erwachte eine vertraute Wut. Seine Sinne klärten sich, das Flackern und Blitzen der Farben beruhigte sich, bis er vertraute Umrisse und Linien erkennen konnte. Bäume, Nagetiere, Vögel. Menschen.
Gorian packte Jhered am Arm und zog ihn wieder herunter.
»Da kommt jemand«, hauchte er.
Jhered nickte. »Gut«, erwiderte er leise und gelassen, um Gorian zu beruhigen. »Wie viele sind es, wie weit sind sie entfernt, und in welche Richtung bewegen sie sich?«
»Ich kann sechs erkennen. Nein, sieben. Sie kommen zu Fuß, nicht direkt in unsere Richtung. Sie sind über uns am Abhang, etwa dreißig Schritte entfernt.«
»Gut. Sage mir, kommen sie den Hang herunter oder gehen sie oben weiter? Lass dir Zeit. Bleib ruhig, denn du weißt, dass sie dich nicht sehen können.«
Gorian fand Jhereds Stimme unglaublich beruhigend. »Sie kommen zum Fluss herunter, werden aber rechts an uns vorbeigehen, falls sie nicht die Richtung wechseln. Sie laufen im Gänsemarsch.«
»Gut.«
»Was tun wir jetzt?«
»Überhaupt nichts«, erklärte Jhered. »Bleib so still sitzen, wie du nur kannst. Sie folgen uns nicht. Wahrscheinlich wollen sie nur Wasser holen.«
»Wir müssen die anderen wecken.«
»Noch nicht«, wisperte Jhered. »Und wenn es nur dieses eine Mal ist, vertrau mir.«
»Wir können doch nicht einfach hier herumsitzen.«
»Doch, Gorian, das können wir, und das werden wir tun.« Jhered legte ihm eine Hand auf den Arm. »Sage es mir, wenn sie sich nähern, oder sage mir Bescheid, wenn sie wieder außerhalb deiner Reichweite sind.«
Gorian beobachtete die Tsardonier, falls es denn welche waren, als sie vorsichtig den Hang herunterkamen. Sie hatten keine Lichter bei sich, keine Flamme strahlte ihre Energie in die Dunkelheit ab. Mit dem Fluss im Rücken konnte Gorian kein anderes Geräusch hören. Es war schwer, sich zu konzentrieren, und nur Jhereds Gegenwart gab ihm den Mut, weiterzumachen und die Gestalten zwischen den anderen Energien des Waldes im Blick zu behalten. Eigentlich hätte es ganz leicht sein sollen, denn sie waren wach, und ihre Lebenslinien strahlten hell. Doch es fiel ihm nicht leicht. Seine Furcht behinderte ihn. Das musste er rasch überwinden.
Die Gestalten bewegten sich weiter. Gorian nahm an, sie folgten
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