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Die Kinderhexe

Die Kinderhexe

Titel: Die Kinderhexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Rausch
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Neumünster, der Ritter-Kapelle und aller anderen Kirchen der Stadt die Gläubigen an, sich an diesem Morgen in den Dom zu begeben.
    Dass der Bischof die Messe abhielt, kam in diesen Tagen nicht oft vor. Das musste etwas bedeuten, und so folgten viele Würzburger dem Aufruf. Binnen kurzem füllte sich das Langschiff. Die Ratsherren nahmen in ihrem neuen Gestühl Platz, unter ihnen auch Christian Dornbusch. Er sah nicht gut aus, mehr wie ein Schatten seiner selbst. Nicht weit von ihm entfernt saß Faltermayer. Der hatte gute Laune, scherzte und begrüßte die edlen Herren ungewohnt fröhlich.
    Das gemeine Volk stand im vorderen Teil des Langhauses in der Nähe des Hauptportals. Unter ihnen befand sich auch Helene. Seit dem Besuch Ludwigs am Vorabend machte sie sich nicht länger um das Wohlergehen Kathis Sorgen. Sie war offenbar in guter Pflege bei ihm, aß regelmäßig und besuchte fleißig die gemeinsamen Gebete.
    Helene ahnte nicht, wie sehr Ludwig wegen Kathi in Bedrängnis war. Faltermayer hatte auf sein Bestreben hin Kathi unter dessen Beobachtung gestellt. Gleich nach dem Amt sollte Ludwig ihm und dem Bischof Bericht erstatten, was er seitdem aus ihr herausbekommen hatte. Und nun wusste er nicht einmal, wo sie sich aufhielt. Ein feiner Kinderpfarrer war er, der nicht imstande war, ein einziges Kind zur Umkehr zu bewegen, geschweige denn seine Aufsichtspflicht zu erfüllen. Nachdem er vergeblich versucht hatte, von Ursula den Aufenthaltsort Kathis zu erfragen, hatte er die ganze Nacht hindurch über einer Lösung gebrütet. Spät in den Morgenstunden war sie ihm eingefallen.
    Das hatte aber erst eine unerwartete Ehre ermöglicht. Der Dompropst hatte ihn im Auftrag des Bischofs dazu bestimmt, die Predigt zu halten. Anlass waren die aktuellen Ereignisse. Niemand konnte den Eltern besser ins Gewissen reden als der Kinderpfarrer Ludwig. Allein diese unerwartete Auszeichnung, zum ersten Mal vor der versammelten Würzburger Bürgerschaft sprechen zu dürfen, hätte ihn fast gelähmt. Doch jetzt hatte er eine Lösung, und die Predigt war der einzige Weg, sie zu verkünden. Er betete zu Gott, dass es gelingen möge.
    Nervös schaute er aus dem Chor ins Langschiff. Viele Kinder waren da, Eltern, Adlige, Kaufleute, Handwerker und Geistliche aus anderen Kirchen und Klöstern. Wenn er sie überzeugen konnte, war er gerettet.
    Orgelspiel ertönte, das Gemurmel erlosch. Aus dem einfallenden Licht des Hauptportals trat ein Kreuzträger in die dämmrige Kirche, gefolgt von sieben Leuchtenträgern und einem Priester, der das Weihrauchfass schwenkte. Der Bischof erschien im feierlichen Messgewand, mit einer reich verzierten Mitra auf dem Kopf und dem Bischofsstab in der Hand. Obwohl sein äußeres Erscheinungsbild Glanz und Gloria vermittelte, ging er gebeugt. Die Bürger, die eine Gasse gebildet hatten, bekreuzigten und verneigten sich ehrfurchtsvoll vor ihm.
    Auch Helene konnte nicht umhin, ihm Respekt zu zollen, was jedoch mehr seinem Amt als seiner Person geschuldet war. Sie betrachtete diesen Bischof mit gemischten Gefühlen. Obwohl er als fürsorglicher Landesvater galt, regierte er auch mit unerbittlicher Hand bei der Verfolgung von Hexen und Zauberern. Das hätte ihre Tochter beinahe das Leben gekostet.
    Am Altar angekommen, wandte er sich dem Volk zu, sprach den Willkommensgruß und schlug das Kreuzzeichen.
    «In nomine patris et filii et spiritus sancti.»
    Christian konnte dem darauffolgenden
Kyrie eleison
 –
Herr, errette mich
 – nichts mehr abgewinnen. Er war ein gebrochener Mann. Eine Rettung kam für ihn nicht mehr in Frage, genauso wenig wie für seine Felicitas, die sich seinen Händen entzogen und sich freiwillig in die Fänge der Folterknechte begeben hatte. Die Frage nach dem Warum stellte er sich nicht länger. Es blieb ihr Geheimnis. Sie würde es mit auf den Scheiterhaufen nehmen.
    Faltermayer beugte sich ein Stück vor und blickte die Reihe der Ratsherren entlang. Dornbusch hatte er mit der Festnahme seines Weibes das Maul gestopft. Das war ein guter Anfang für die kommenden Wochen und Monate, in denen seine Arbeit noch viel ergiebiger werden sollte als bisher. Sein Händler hatte ihm vergangene Nacht versichert, dass er für gute Ware weiterhin gutes Geld zahlen werde. Nur sputen müsse er sich, lange werde sich der Bischof nicht mehr hinters Licht führen lassen.
    In Ludwig wuchs derweil die Anspannung. Er rief sich noch einmal alle Bibelstellen in Erinnerung, die er für seine Predigt brauchte.

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