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Die Kinderhexe

Die Kinderhexe

Titel: Die Kinderhexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Rausch
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Inhaltsübersicht]
    33
    Mit Anbruch der Nacht hatte ein warmer, aus Süden kommender Wind begonnen, die dicken Wolken aus dem Maintal zu verdrängen. Es war ein sanfter Wetterwechsel, der in der allgemeinen Bestürzung um den Tod von Felicitas Dornbusch unterging. Christian hatte beim Bischof die Freigabe des Leichnams erwirkt, da auf die Anklage hin kein rechtskräftiges Urteil erfolgt, Felicitas also nicht als Hexe verurteilt worden war. Was es mit seinem Eindringen in den Kerker und der Flucht der fünf Teufelskinder auf sich hatte, sollte zu einem späteren Zeitpunkt geklärt werden. Der Bischof gewährte Christian bis nach der Bestattung seiner Frau Bedenkzeit, danach würde er Rede und Antwort stehen müssen. Der Tunneleingang wurde vorsorglich zugemauert.
    Pfarrer Ludwig war es zu verdanken, dass zumindest eins der Kinder an der Flucht gehindert werden konnte. Noch in der Nacht war der Satansbraten befragt worden. Er hatte eisern geschwiegen, bis er mit den Folterwerkzeugen vertraut gemacht worden war. Danach ging alles seinen gewohnt schnellen Gang. Die Anklage hatte sich Faltermayer gespart, schließlich behauptete der Junge ja selbst, im Pakt mit dem Teufel zu stehen. Das Urteil wurde noch in der Nacht vom Malefizschreiber aufgesetzt.
    Der Wetterumschwung war mit dem Ruf des Nachtwächters zur elften Stunde vollzogen. Zurück blieb ein makelloser schwarzer Himmel, von dem Abertausende Sterne strahlten, einzig von einem vollkommenen Mond in den Hintergrund gedrängt. Schon lange hatte man sich nicht mehr an einem derart befreienden Blick erfreuen können. Einige gingen gar so weit, nach Einbruch der Dunkelheit die Fenster zu öffnen, um die frische Luft in die Stuben zu lassen. Sie wirkte wie ein Lebenselixier auf die schweren Gemüter. Für einen Atemzug oder zwei trotzte man der Gefahr des Hexenflugs.
Sollen die Hexenleute morgen wiederkommen.
Diese Nacht war zu schön, als dass man sie aus den Häusern aussperren durfte.
    Kolk saß auf dem First von Neumünster und schaute auf die Klosteranlage hinab. Seinen Menschen hatte er lange nicht mehr gesehen. Zwischenzeitlich war er dem anderen kleinen Menschen gefolgt, der wie er schwarz gekleidet war und vielen anderen Schwarzkitteln vorstand. Sie hatten sich in einen der Schächte am Frauenberg zurückgezogen, die der Bischof im Zuge der Burgbefestigung hatte graben lassen. Doch dieser Mensch hatte ihn nicht so gut behandelt, und so war er zum Neumünster zurückgekehrt.
    Der warme Wind hatte ihn hungrig gemacht, genauso wie die vielen anderen Tiere der Nacht, die den unerwartet klaren Nachthimmel für einen Beutezug nutzten. Vom Schalksberg herunter kamen die Wölfe und die Fledermäuse, und der Schrei der Eule alarmierte die Kleintiere, dass einer ihrer gefährlichsten Feinde auf einen einzigen Fehler warten würde. Kolk musste dieses Mal aufmerksamer und schneller sein. Nicht noch einmal durfte er sich von der Eule die Beute aus dem Schnabel stehlen lassen, sonst würde das eine lange und hungrige Nacht für ihn werden. Er erhob sich in die Luft und flog hinunter zum Main.
    Jenseits des Flusses, am Anstieg zur mächtigen Burganlage, fand unterdessen ein Kampf um die Vorherrschaft der Kinderbanden statt. Die fünf geflüchteten Kinder hatten Volkhardt zu den geheimen Gängen geführt. Der Einstieg lag im Schutz der Büsche.
    «Lorentz wird dich töten», sagte einer.
    «Das haben schon andere versucht», gab Volkhardt selbstbewusst zurück. Doch so sicher war es sich dieses Mal nicht. An die hundert Kinder hatte Lorentz um sich versammelt, und wenn es stimmte, was er hörte, waren sie ihm treu ergeben. Das würde ein ungleicher Kampf werden. Er musste ihn anders besiegen.
    «Geht vor», sagte Volkhardt zu ihnen, «ich folge euch.»
    Der Tunnel lag auf der südlichen, der Stadt abgewandten Seite nach Höchberg hin. Eines nicht so fernen Tages sollte er die Burg mit einem vorgelagerten Wehrturm verbinden, um etwaigen Angriffen besser begegnen zu können. Die Bauarbeiten waren allerdings eingestellt worden. Erst wenn die bischöfliche Kasse wieder über ausreichend Mittel verfügte, würden sie fortgesetzt werden. Bis dahin war der halb fertiggestellte Durchstich zur Burg verwaist. Ein besseres Versteck hätte Lorentz nicht wählen können.
    Der Gang hinein in den Berg war eng und niedrig. Wasser strömte an den Felswänden herab, und der Geruch von frisch Gebratenem wehte ihnen entgegen. Nach wenigen Schritten kamen sie zu einer Felsspalte, hinter der sich ein

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