Die Kinderhexe
Möglichkeit würde sich so schnell nicht bieten.
Tropfen für Tropfen fiel auf das Kleid der ahnungslosen Felicitas. Dazu sprach Grit die Zauberformel:
Anisapte.
Möge dein Zauber weichen und Christian freigeben.
Das leise Schleifen einer Ordenstracht auf dem Steinboden ließ sie aufschrecken. Eine Nonne kam auf sie zu. Doch nun war es zu spät – niemand würde Felicitas mehr retten können. Das Fläschchen war leer und die Zauberformel gesprochen. Es war vollbracht.
Zufrieden steckte Grit das Fläschchen wieder ein, als sie eine Hand an der Schulter packte. Sie fuhr herum und blickte in das zornige Gesicht Christians.
«Was hast du da gemacht?», fragte er streng.
Felicitas drehte sich herum. Wider Erwarten war sie von Christians Anwesenheit nicht überrascht. Genauso wenig wie die Nonne, die ihn zwar aufforderte, die Stimme zu senken, aber mit ihm gerechnet zu haben schien. Die Einzige, die überrascht war, Christian hier zu sehen, war Grit.
«Bruder Bernhard erwartet Euch», sagte die Schwester und wies sie an, ihr zu folgen.
«Einen Moment noch», sagte Christian. «Ich muss ein Wort mit diesem Mädchen sprechen.»
«Wer ist das?», fragte Felicitas sichtlich erstaunt.
Grit hatte sich vom ersten Schreck erholt, und wenn sie es recht bedachte, war ihr die Konfrontation mit Felicitas gar nicht so unrecht. Der Zauber war gebrochen, sie hatte nichts zu befürchten.
Mit einem triumphierenden Lächeln wandte sie sich an Christian. «Ja, wer bin ich. Willst du es ihr nicht sagen?»
Christian stockte der Atem. «Wir kennen uns vom Gericht», antwortete er Felicitas. «Geh mit der Schwester schon mal vor. Ich komme gleich nach.»
Es war zu sehen, wie ein leiser Zweifel in Felicitas aufkam. Was hatte ihr Mann mit diesem Mädchen zu schaffen? Aber schließlich überwog die Einsicht, dass ihr Mann bei seiner Arbeit immer wieder auf Bekannte traf.
«Halte dich bitte nicht lange auf», sagte sie. «Bruder Bernhard wartet.»
«Ich weiß», antwortete er schnell. «Ich bin gleich bei euch.»
Er nahm Grit am Arm und führte sie in eine abgeschiedene Ecke. «Was hast du hier zu suchen?», fragte er mit gedämpfter, aber zorniger Stimme. «Und was hast du Felicitas aufs Kleid getan?»
Grit lächelte ihn an. «Der Zauber ist gebrochen. Felicitas hat keine Macht mehr über dich.»
«Was redest du da?»
«Du bist frei, Liebster. Verstehst du?» Sie schlang die Arme um seinen Hals.
Unwirsch wehrte Christian sie ab. «Hast du nun völlig den Verstand verloren?»
Er schaute sich um. Felicitas hatte mit der Schwester die Kirche bereits verlassen, und wie es schien, waren sie alleine. Eine gute Gelegenheit, um die Sache aus der Welt zu schaffen.
«Ein für alle Mal: Lass mich endlich in Frieden.»
Grit beschwichtigte ihn. «Der Zauber ist gebrochen. Ab jetzt gibt es nur noch uns zwei.»
«Hör auf mit dem Unsinn. Ich bin ein verheirateter Mann. Wir haben keine Zukunft.»
«Da bin ich anderer Meinung.»
«Was passiert ist, ist passiert. Ich kann nichts tun, außer den Herrn um Verzeihung für meinen schwachen Willen zu bitten.»
«Gegen unsere Liebe kann auch dein Jesus nichts ausrichten», widersprach sie verärgert. Sie wunderte sich, warum Christian immer noch so störrisch war.
Für einen Moment war er sprachlos. «Du sprichst von Liebe?» Er schüttelte den Kopf. «Den einzigen Menschen, den ich liebe, habe ich betrogen, und dafür werde ich in der Hölle schmoren. Du hingegen bist nichts anderes als ein verwirrtes Mädchen.» Er packte sie an den Schultern, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. «Hast du gehört? Du bist ein Kind, und ich bin ein Mann. Wir haben nichts gemein.»
Die Gewalt, die sie durch seine Hände hindurch spürte, erschreckte sie. Sie begann zu ahnen, was er mit seinen schroffen Worten bezweckte. Er hatte seinen Spaß mit ihr gehabt, nun wollte er nichts mehr von ihr wissen.
«Ich will dich nicht mehr sehen», herrschte er sie an.
Dann drehte er sich um und eilte Felicitas hinterher. Grit blieb alleine zurück. Sie schaute ihm lange nach und überlegte, was soeben geschehen war. Es war nicht leicht, aber Stück für Stück begann sie zu verstehen. So erwuchs aus der Niedergeschlagenheit die Einsicht, und die Einsicht verwandelte sich in den Drang nach Vergeltung.
Niemand durfte sie so behandeln, weder die Kerle aus dem Stachel noch Christian. Mit bitterer Miene rief sie ihm nach: «Bei meiner Ehre: Wir werden uns wiedersehen, Christian Dornbusch. Verlass dich drauf, und
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